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Auslandspresse im Kreuzfeuer der Kritik

11. Nov. 2013

Eine regierungsfreundliche Wochenzeitung wartet mit einer langen Liste haltloser Vorwürfe auf, denen sich Ungarn in der Auslandspresse ausgesetzt sieht, während eine liberale Stimme die deutsche Tageszeitung Die Welt kritisiert, da diese das Interview mit einem ungarischen Historiker falsch interpretiert und eine Erwiderung abgelehnt habe.

Eine im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Schwedens ausgestrahlte Dokumentation über Ungarn hat in hiesigen rechten Kreisen massive Proteste ausgelöst. Der in einem Kulturprogramm gesendete Beitrag stellte Ungarn als ein Land dar, in dem sich der Faschismus auf dem Vormarsch befinde und der stillschweigenden Duldung seitens der Regierung erfreue. Kritiker behaupten, dass die allgemein zu Wort kommenden Interviewpartner lediglich eine Minderheitsmeinung repräsentierten und es sich bei ihnen ausnahmslos um entschiedene Kritiker der aktuellen Regierungskoalition handele. Ein regierungsfreundlicher Journalist übermittelte aus Stockholm Berichte an Magyar Nemzet sowie das ungarische öffentlich-rechtliche Fernsehen, in denen unter anderem aufgezeigt wird, dass die schwedischen Bemühungen zur Integration der Roma gescheitert und über die Hälfte der schwedischen Fernsehjournalisten linksorientiert seien, während 80 Prozent der Redakteure von Kulturprogrammen mit der postkommunistischen Partei sympathisieren würden.

In der Druckausgabe von Heti Válasz erscheint ein Interview mit István Lovas, dem Brüsseler Korrespondenten von Magyar Nemzet, der an sämtliche in Ungarn akkreditierten Auslandskorrespondenten einen englischsprachigen Brief voller unflätiger Beschimpfungen geschickt hatte (vgl. BudaPost vom 1. November). Lovas räumte ein, vor der Absendung des Briefes einige Drinks intus gehabt zu haben, doch sei seine Wut durch einen Artikel in der New York Times über die neue Oper von Iván Fischer ausgelöst worden, in der es um einen angeblichen Ritualmord im nordostungarischen Tiszaeszlár geht. Er habe die Nase voll von der Auslandspresse, bekundet Lovas, die immer dann „Antisemitismus schreit, wenn eine Mitte-Rechts-Regierung an der Macht ist“. Er fragt, wie wohl Belgien in den Augen der Ungarn aussehen würde, wenn er in der Hälfte seiner Beiträge die Zunahme des Antisemitismus in Belgien erwähnen würde, während das Land noch immer nicht bereit sei, sich mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, darunter die Ermordung von Millionen Afrikanern im Kongo. Auf die Frage, ob die ungarische Regierung ihren Kritikern angesichts von Mediengesetz und Gezänk um das Klubrádió (dem regierungskritischen Sender war trotz anderslautender Gerichtsentscheidungen seitens der Medienbehörde lange Zeit und wiederholt eine Sendefrequenz streitig gemacht worden, Anm. d. Red.) nicht selbst reichlich Munition geliefert habe, antwortet Lovas, „die Einführung des Mediengesetzes hätte bis zum Ablaufen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vertagt werden sollen“. Im Übrigen habe für ein derartiges Gesetz gar keine Notwendigkeit bestanden, da links-liberale Regierungen die Medien gesäubert hätten, ohne sich neuer Gesetze zu bedienen.

In der gleichen Nummer nimmt Bálint Ablonczy die Berichterstattung über Ungarn unter die Lupe und kommt zu dem Schluss, dass „gemäßigte Töne äußerst dünn gesät sind“. Er wartet mit einer Liste von Anschuldigungen auf, die – obgleich längst widerlegt – immer wieder aufgegriffen würden: Dass Abtreibung verboten sei (in der Verfassung sei davon die Rede, dass das Leben von Föten vom Augenblick ihrer Entstehung an geschützt ist, doch handele es sich dabei um „eine Festschreibung der bereits vorher existierenden Regelung“), dass Bürger anderer EU-Staaten kein Land in Ungarn erwerben dürften (das könnten sie, wenn sie offiziell in Ungarn wohnhaft und Bauern von Beruf seien), dass die Regierung Zensur betreibe („nichts dergleichen ist jemals geschehen“), dass Fidesz einen Kampf gegen die Roma verkündet habe und die Todesstrafe befürworte, dass Róbert Alföldi aus politischen Gründen seinen Posten als Intendant des Nationaltheaters verloren habe (seine Amtszeit sei abgelaufen gewesen und ein Nachfolger in einem Ausschreibungsverfahren neu besetzt worden). Nach Ansicht Ablonczys ist für das Zerrbild die Tatsache verantwortlich, dass ausländische Journalisten immer und immer wieder die gleichen Leute interviewten, darunter Ágnes Heller, Rudolf Ungváry, András Schiff, Gábor Iványi oder György Konrád, die dazu neigten, die Regierung als autoritär und antidemokratisch zu beschreiben. Zudem verglichen sie sie häufig mit dem Hitler-Regime, beklagt Ablonczy.

Galamus veröffentlicht die Kontroverse über ein Interview, das Krisztián Ungváry (Sohn von Rudolf Ungváry und bekannter Historiker mit Schwerpunkt Ungarn im 20. Jahrhundert) der deutschen Tageszeitung Die Welt gegeben hatte. Als Reaktion verfasste daraufhin Thomas Schmid, Herausgeber des in Hamburg erscheinenden Blattes, eine Kolumne, in der er Ungváry dafür kritisiert, den Antisemitismus im Ungarn der Zwischenkriegszeit als rational bezeichnet zu haben, wodurch dieser gerechtfertigt werde. Zudem kritisiert der in Ungarn geborene, aber in Berlin lebende Schriftsteller und Historiker György Dalos Ungváry dafür, den Antisemitismus mit den Ressentiments, die in der Zwischenkriegszeit gegenüber den Deutschen herrschten, sowie den Massendeportationen von Ungarndeutschen nach dem Krieg verglichen zu haben. Beide Verfasser werfen Ungváry vor, er greife gelegentlich auf eine antisemitische Sprache zurück. Im Originaltext unterstreicht Ungváry, dass der ungarische Antisemitismus hausgemacht gewesen sei und in der als ungerecht empfundenen Einkommensverteilung sowie im Elend der Landbevölkerung gewurzelt habe, die es größtenteils mit jüdischen Finanziers oder Großhändlern zu tun gehabt habe. Demzufolge seien die Juden von den Menschen ganz unten mit dem Kapitalismus gleichgesetzt worden. In seiner Erwiderung, deren Veröffentlichung von der Welt abgelehnt wurde, stellt Ungváry fest, dass, obwohl Antisemitismus „erklärt werden kann, dies nicht auch bedeutet, dass er gerechtfertigt werden kann. ‘Rational’ heißt, es handelt sich um eine Erscheinung, die analysiert und verstanden werden kann“. Während Schmid ihm eine auf Ungarn fokussierte Erklärung des Holocaust vorgeworfen habe, verschleiere eine „auf Deutschland bezogene“ Sichtweise, so Ungváry, die Verantwortung derer, die in anderen von den Nazis besetzten Staaten von der Endlösung profitiert hätten.

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