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Linke Flügelkämpfe im Spiegel der Wochenzeitungen

4. Nov. 2013

Linksorientierte Analysten befürchten angesichts der gegenseitigen Schuldzuweisungen während und nach der gemeinsamen Kundgebung zum 23. Oktober fatale Konsequenzen für die Linke. Ihre Kollegen von der Rechten wiederum glauben, Ursache für diese Misere sei der Umstand, dass die Linke nichts zu den wichtigsten Problemen unserer Epoche zu sagen habe.

In seinem regelmäßigen Leitartikel in 168 óra fordert Tamás Mészáros die Spitzenpolitiker der Linken auf, Kaltblütigkeit zu beweisen und Mäßigung an den Tag zu legen, da fortgesetzte Flügelkämpfe innerhalb der Opposition die Chancen auf eine Abwahl Viktor Orbáns im kommenden Jahr zwangsläufig mindern würden. Diejenigen, die während der Rede des sozialistischen Parteichefs Attila Mesterházy auf der oppositionellen Kundgebung anlässlich des Jahrestages des Volksaufstandes von 1956 (vgl. etwa BudaPost vom 28. Oktober) „Einheit, Einheit“ skandiert hätten, so die Einschätzung von Mészáros, hätten der Linken „zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt und am schlechtmöglichsten Ort“ massiven Schaden zugefügt. Falls es der Opposition nicht gelingen sollte, ihre Geschlossenheit unter Beweis zu stellen, könne von den Massen unentschiedener Wähler, deren Stimmen für eine Abwahl der gegenwärtigen Regierung den Ausschlag gäben, nicht erwartet werden, dass sie mitspielten. Tatsächlich sei es völlig einerlei, so erläutert der Leitartikler, wie „widerwärtig“ sich die Regierungspolitik auch präsentieren möge, „aktiver Widerstand benötige mehr als Abscheu: nämlich eine echte Siegeschance“. Nach Ansicht von Tamás Mészáros sollte die künftige Oppositionsfront auf Parteien beschränkt bleiben, die über eine offensichtliche Anhängerschaft verfügten, mit anderen Worten die Sozialisten, Gemeinsam 2014 von Gordon Bajnai sowie Ferenc Gyurcsánys Demokratische Koalition. (Der Autor lässt durchblicken, dass die einstigen Liberalen lediglich sich selbst repräsentierten und einzig „von persönlichen Ambitionen“ getrieben seien). Das Problem bestehe darin, dass die beiden wichtigsten Akteure mit Gyurcsány „nicht auf einen Nenner kommen könnten“. Das werde sich nicht ändern, bis sich möglicherweise das Kräftegleichgewicht verschiebt. Für die Zwischenzeit empfiehlt Mészáros Geduld und Mäßigung.

In der Druckausgabe von Magyar Narancs hält dessen Chefredakteur Endre B. Bojtár eine Zusammenarbeit der Oppositionskräfte für unmöglich, außer sie akzeptierten Mesterházy als ihren Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt. Dessen MSZP sei mit Abstand die beliebteste Oppositionspartei und „er wird mehr Stimmen für seine Liste einfahren als Bajnai“. Er werfe nicht die Möglichkeit der Wahl eines dritten Kandidaten auf, obgleich dies genau das gewesen sei, was Ferenc Gyurcsány in seiner umstrittenen Rede am 23. Oktober vorgeschlagen hatte. Bojtár hält diese Rede für einen Beleg dafür, dass der Chef der Demokratischen Koalition die MSZP und Gemeinsam 2014 den Wählern „abspenstig machen“ und sie unter die Fittiche seiner eigenen Partei führen wolle und dass er dafür „seine Schläge auf den Kopf platzieren sollte“. Mittlerweile wünschten ihn sich die anderen zwei Parteien an ihre Seite, „ohne dass es jemand mitbekommt”. Denn sie benötigten dessen Wählerstimmen, wüssten jedoch, er würde mindestens so viele Wähler vergraulen, wie er hinter sich habe. Mit anderen Worten gesprochen, schreibt der Chefredakteur von Magyar Narancs, würde alle betroffenen Parteien völlig rational agieren. Das einzige Problem bestehe darin, dass eine solche Rationalität sie letzten Endes unweigerlich in den Ruin treiben werde. Die Auswirkungen der Kundgebung vom 23. Oktober seien in der der Tat katastrophal, da eine wirksame Kommunikation zwischen Gyurcsány und dem Rest praktisch unmöglich geworden sei. Unter diesen Bedingungen, argwöhnt Bojtár, „werden sich Fidesz-Propagandisten keiner einzigen Lüge bedienen müssen, um zu beweisen, dass jene nicht in der Lage seien, das Land zu führen“. Dessen ungeachtet hat der Autor drei Anregungen für die Linksparteien, falls sie doch noch einen anständigen Wahlkampf zu führen gedenken:

– Sie sollten sich mit der Kandidatur von Attila Mesterházy für das Ministerpräsidentenamt abfinden;

– Sie sollten auf getrennten Listen kandidieren, um dem Wahlvolk die größtmögliche Auswahl zu lassen;

– Gyurcsány könne nicht ignoriert werden, denn die für ihn abgegebenen Stimmen seien unverzichtbar.

In Heti Válasz (Druckausgabe) macht sich Chefredakteur Gábor Borókai über den Schaden lustig, den sich die linke Führungsspitze am 23. Oktober selbst zugefügt hat. „Es ist ihnen gelungen, mit dem Dilettantismus gleichzuziehen, mit dem das Baja-Video hergestellt wurde“. (Zum Thema gefälschtes Wahlvideo aus Baja – vgl. BudaPost im Monat Oktober) Der Autor beschreibt den Video-Fall als Ausdruck der verzweifelten Bemühungen der Sozialisten, ihre Gegner zu verleumden, und vermutet, dass sie zu derartigen Methoden griffen, weil sie nichts Substanzielles zu bieten hätten. So lange es den Anschein machte, dass die Staatsfinanzen großzügige Sozialausgaben erlaubten, „versorgten linke und liberale Parteien das Wahlvolk mit Versprechungen sowie mit der Aussicht auf einen Wohlfahrtsstaat, sorgten sich jedoch niemals um ihre Seelen“. Nunmehr, da große Versprechungen unglaubwürdig wären, bliebe ihnen nichts außer Vorwürfen an die Regierung, diese würde die liberale Demokratie vernichten. Und wenn sie niemand beachte, beschuldigten sie den Fidesz der Wahlmanipulation. „Weswegen sollte Fidesz Stimmen kaufen, verfügt die Partei doch über einen satten Vorsprung in den Umfragen und gewinnt die meisten Zwischenwahlen?“, fragt Borókai. Ein weiteres Problem sei, fährt Borókai fort, dass sich das Video, das sie zum Beweis des Fidesz-Fehlverhaltens produziert hätten, als Fälschung entpuppt habe.

In Demokrata (ebenfalls Druckausgabe) äußert Gábor Bencsik die Ansicht, dass für die Opposition äußerst viel auf dem Spiel stünde, denn eine Wahlniederlage würde zur sofortigen Arbeitslosigkeit des Spitzenpersonals führen. Aus diesem Grunde sagt der Journalist einen außerordentlich hässlichen Wahlkampf voraus. Obgleich er die Rechte davor warnt, allzu siegesgewiss zu sein, glaubt er dennoch, dass die Linke über keine geeignete Führung verfüge. Er beschreibt MSZP-Chef Attila Mesterházy als „Federgewicht“, nennt Gordon Bajnai „einen unbegabten Dilettanten“, während es sich bei Ferenc Gyurcsány „um einen Charakter handelt, allerdings innerlich komplett leer“. Er bezeichnet die einstigen führenden Liberalen, die auf der Kundgebung am 23. Oktober gesprochen hatten, „als übriggebliebene Zombies ihrer Partei“. Allerdings sei das Hauptproblem der Linken nicht ein Mangel an geeigneter Führung. Was ihr wirklich fehle, sei ein Programm, da deren einzige Botschaft laute: „Nieder mit Orbán!“. Mit Blick auf die globalen Finanzen, die bedrohlichen demografischen Trends, die ökologischen Risiken und den Rest verfügten sie über keinerlei aussagekräftige Ideen, die sie der Öffentlichkeit präsentieren könnten. Wenn sie über anständige Strategien verfügten, glaubt Bencsik, würden diese auch die richtigen Führungspersönlichkeiten hervorbringen. „Kleingeistige Ziele erzeugten kleingeistige Politiker, während große Ziele große Staatsmänner generierten“, zeigt sich Bencsik überzeugt und äußert seine Hoffnung, dass „die Wähler jene bipolare natürliche Auslese bestätigen werden“.

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