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Keine Begeisterung über das neue Wahlbündnis

13. Jan. 2014

Liberale Kolumnisten äußern sich höchst skeptisch über die jüngste oppositionelle Vereinbarung, Ferenc Gyurcsány in das Bündnis von Gordon Bajnai und Attila Mesterházy zu integrieren. Einige von ihnen werfen führenden progressiven Intellektuellen vor, sie würden sich in den politischen Prozess einmischen. In einer optimistischen Kolumne von Seltenheitswert äußert ein der sozialistischen Partei nahestehender Politologe, dass noch nicht alles verloren sei.

In Heti Világgazdaság widerspricht Árpád Tóta vehement einem Analysten, der behauptet, dass die Linke zum Scheitern verurteilt sei, weil sie nichts weiter zu bieten habe als eine Rückkehr zu den Zeiten vor 2010 (vgl. BudaPost vom 8. Januar). Für Tóta ist alles noch viel schlimmer. Der sozialistische Parteichef Mesterházy sei die richtige Wahl für das Amt des Ministerpräsidenten, spottet der Autor, denn er sei der größte der drei Verlierer, da er zuerst Gyurcsány „aus dem Nest“ geschubst und sich dann mit Bajnai duelliert habe. Letztendlich bildeten sie erneut ein Team. Damit würden drei Jahre der gegenseitigen Abschottung und der Konkurrenz den Anschein erwecken, als sei hier viel Lärm um nichts gemacht worden. Obendrein hätten alle, die weder für Mesterházy noch für Bajnai oder Gyurcsány stimmen wollten, nunmehr keine andere Wahl als sich für die Rechte zu entscheiden, schlussfolgert Tóta. Ob Mesterházy & Co. es nun wahrhaben wollten oder nicht, die einzige mögliche Botschaft, die der Opposition noch verbleibe, sei eine Wiederentdeckung der Epoche vor 2010 sowie das Eingeständnis, dass sie alles andere als perfekt gewesen sei, aber zumindest weniger Schaden angerichtet habe als die gegenwärtige Regierung. Ihre Leistung in der Opposition während der vergangenen drei Jahre sei dessen ungeachtet noch erheblich schlechter ausgefallen.

András Hont, ein weiterer Autor von Heti Világgazdaság, könnte kaum vehementer widersprechen. Bei „Gyurcsány reloaded“ ginge es weder um die Wahlen noch um die Frage, ob sich Ungarn auf die Epoche vor 2010 zurückbesinnen sollte. Die Parteien seien zu einer Gruppe sogenannter progressiver Intellektueller erstarrt, nach denen man sich in der Linken seit 1990 immer schon habe richten sollen. Was sie wollten, sei nicht die Wiederherstellung von irgendetwas, sondern Geld für ihre Zeitschriften, „die von absolut niemandem gelesen werden“. Diese Leute hätten niemals darüber nachzudenken versucht, weshalb und wie Fidesz eine Zweidrittelmehrheit habe gewinnen können, wettert Hont. Die Bestimmung Gyurcsánys zum Helden der Opposition beweise, dass die Opposition die Wahl überhaupt nicht gewinnen wolle – vielmehr würden sie „um die Rolle der prominentesten Figur einer Scheinopposition“ ringen. In einer letzten verzweifelten Anmerkung schreibt der Autor, dass sich Gábor Vona (Chef der rechtsextremen Jobbik-Partei – Anm. d. Red.) bereits auf eine Übernahme vorbereiten könne.

László Bartus, Herausgeber von Amerikai Népszava (einem in New York beheimateten Nachrichten- und Meinungsportal, auf dem er in langen Artikeln gegen die „faschistische“ Regierung wettert), feuert eine weitere Breitseite gegen die progressiven Intellektuellen, die in einem Brief einen neuen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten gefordert hatten, nachdem Bajnai Mesterházys Anspruch auf den Posten akzeptiert hatte (vgl. BudaPost vom 10. Januar). Bartus glaubt, dass Bajnais Angebot zum Verzicht nach einem Treffen mit mehreren der Unterzeichner des Briefes erfolgt sei. (Darunter befinden sich bekannte Persönlichkeiten aus dem Kulturleben, die lautstarke Gegner der aktuellen Regierung sind wie etwa der Schriftsteller György Konrád, die Philosophin Ágnes Heller sowie der Dirigent und Musiker Iván Fischer – Anm. d. Red.) Der Autor bezeichnet ihre Einmischung in die Politik als ein skandalöses über das Ziel Hinausschießen, das um so schädlicher sei, da er Bajnai für den einzigen kompetenten Ministerpräsidenten unter allen führenden Oppositionspolitikern halte.

In einem Interview mit der linksorientierten Budapester Tageszeitung Népszava bestätigt einer der betroffenen Intellektuellen, der Literaturkritiker Sándor Radnóti, dass er und weitere prominente Intellektuelle Bajnai getroffen hätten und mit ihm übereingekommen seien, dass er auf eine Kandidatur verzichten sollte. Allerdings habe er angenommen, dass, falls einer der beiden zurücktreten sollte, der andere (Mesterházy) sofort übernehmen würde.

In Beszélő bedient sich Chefredakteur Zoltán Ádám einer etwas gewählteren Ausdrucksweise, wenn er die eigentliche Idee einer übergreifenden linken Allianz kritisiert. Befürworter hätten geltend gemacht, dass die Dringlichkeit eines Sieges über Orbán sämtliche anderen Erwägungen in den Schatten stelle. Allerdings, schreibt Ádám, sei eine gemeinsame Wahlliste viel mehr als ein politisches Bündnis, bedeute sie doch den Verlust von politischer Identität. Gyurcsány, der ein talentierter Politiker sein möge, habe viele Ungarn während seiner Amtszeit gegen sich aufgebracht. Nunmehr, da sie mit ihm auf der gleichen Liste erschienen, würden andere nicht so befleckte Spitzenpolitiker keine Möglichkeit haben, sich selbst als glaubwürdige politische Alternative zu präsentieren. Gewiss sei Gyurcsány nicht der Kriminelle, als den Fidesz ihn gerne darstelle, und er habe das Recht, seine eigene Partei zu formieren und zu führen. Dennoch sei seine Legitimität im Laufe seiner Amtszeit als Regierungschef brüchig geworden. Der einzige Grund, weswegen sich Fidesz an der Macht halten könne, räsoniert Ádám, sei der Umstand, dass Orbán gelernt habe, sich nicht an der öffentlichen Meinung zu orientieren, sondern sie vielmehr mit Hilfe neuer, Hoffnung versprechender Konzepte zu formen, wie etwa den Kampf gegen multinationale Unternehmen oder Banken. Keine linksliberale Gruppe sei in der Lage gewesen, ein solches Konzept zu formulieren. Lediglich die winzige LMP habe über eine gewisse, wenn auch konfuse Vision verfügt. Dieses Potenzial sei mit dem Übertritt führender LMP-Politiker zu Bajnai auf Gemeinsam-2014 übergegangen – bis es durch das große Bündnis zum Schweigen gebracht worden sei, beobachtet der Autor.

In 444 fasst Chefredakteur Péter Uj diese Entwicklungen in einem einzigen Satz zusammen: „Anstatt die Unentschiedenen zu umarmen, ist es Bajnai gelungen, die Umarmten zu Unentschiedenen zu machen.“

In Népszabadság versucht der Politologe Zoltán Lakner – ständiger Berater der Sozialistischen Partei – eine, wie er es nennt, „zaghafte Schlussfolgerung“. Demnach habe der Fidesz möglicherweise sein Potenzial zur Ausweitung seiner Wählerschaft ausgereizt. Trotz wiederholter Tarifsenkungen im Bereich Versorgungswirtschaft habe die Popularität der Regierung in den vergangenen zehn Monaten nicht weiter zugenommen. Der Autor äußert die Hoffnung, dass eine dritte Welle von Tarifsenkungen daran nichts ändern werde. Andererseits räumt Lakner ein, dass durch die Präsentation einer gemeinsamen Liste die linken Parteien den Vorteil aufgeben würden, dem Wahlvolk alternative Vorstellungen zu präsentieren. Allerdings könnten sie durch eine Bündelung ihrer Kräfte das Image eines Bündnisses aussenden, das stark genug sei, um die regierende Rechte herauszufordern. Sie müssten dringend ein starkes, geeintes Programm vorlegen, das denjenigen Hoffnung machen könnte, die nach einer Alternative zur aktuellen Regierung Ausschau hielten, meint Lakner.

In Magyar Hírlap bezeichnet László Flick dies als genau das Hauptproblem des Oppositionsbündnisses. Die Sozialistische Partei sei niemals geeint gewesen, ihre Plattformen genannten Gruppierungen hätten sich ständig bekämpft. Nach 2010 seien die internen Konflikte einfach nur öffentlich geworden. Die Sozialisten verfügten über eine Tradition, sich an Außenstehende zu wenden, wenn keine Plattform stark genug sei, um ihren Willen durchzusetzen – zu dieser Kategorie zählt Flick Péter Medgyessy (Regierungschef zwischen 2002 und 2004 – Anm. d. Red.) sowie Gordon Bajnai. In seinem Ringen um die Kandidatur sei Bajnai jedoch eher zu einem Konkurrenten als zu einer „dritten neutralen Partei“ avanciert. Auch der ansonsten charismatische Ferenc Gyurcsány könne kaum als solche gelten. Zudem habe die Linke ein programmatisches Problem, das eng mit dem Führungsproblem verflochten sei. In Ermangelung einer das Bündnis leitenden autoritären Führungspersönlichkeit falle es schwer, ein überzeugendes Wahlprogramm auszuarbeiten. Der Hauptaspekt, der die Beteiligten am Bündnis eine, sei der gemeinsame Wunsch, die aktuelle Regierung in die Wüste zu schicken. Doch potenzielle linke Wähler müssten etwas mehr darüber erfahren, „wie es danach weitergehen würde“, fordert Flick.

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