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Hintergründe des Streits um das Holocaust-Gedenken

17. Feb. 2014

Ein liberaler Analyst prophezeit, dass der Ministerpräsident die von Spitzenvertretern der jüdischen Gemeinschaft erklärten Forderungen zurückweisen wird. Diese sind eine Vorbedingung für deren Teilnahme an Veranstaltungen im Rahmen des staatlichen Holocaust-Gedenkjahres. Ein rechter Kommentator wiederum zeigt mit dem Finger auf „ungebildete“ Berater. Diese hätten den Regierungschef in eine Auseinandersetzung manövriert, aus der man nur schwer wieder herauskomme.

Der Chefredakteur von Magyar Narancs, Endre B. Bojtár, geht davon aus, dass der Ministerpräsident die Wünsche von Spitzenvertretern der jüdischen Gemeinschaft nicht beherzigen werde, selbst auf die Gefahr hin, dass dieses Vorgehen sein internationales Image beschädigen sollte. Der Nationalrat jüdischer Gemeinden (Mazsihisz) hatte mit einem Boykott von Veranstaltungen im Rahmen des Holocaust-Gedenkjahres gedroht, falls die Regierung nicht den Direktor eines neuen Geschichtsforschungsinstituts entlassen und die Pläne zum Bau eines Mahnmals zur Erinnerung an die Besetzung Ungarns durch Nazi-Deutschland sowie für das „Haus der Schicksale“ – gewidmet der Erinnerung an die dem Holocaust zum Opfer gefallenen Kindern – auf Eis legen sollte (vgl. BudaPost von November 2013 bis Februar 2014). Einige Wochen vor den Parlamentswahlen könne Regierungschef Orbán „vor den Juden“ nicht den Rückzug antreten, es sei denn, so Bojtár, er würde sich damit abfinden, dass sich einige der Wähler „in der Grauzone zwischen Jobbik und Fidesz in die falsche Richtung bewegten“. Doch obwohl der Ministerpräsident für einen Wahlsieg nicht auf die Gedenkfeierlichkeiten angewiesen sei, könne er sie jetzt nicht einfach absagen. Bei diesen Antisemiten, die er verlieren möge, handele es sich allesamt um potenzielle Wähler, während die Verfasser von wütenden Artikeln in ausländischen Tageszeitungen woanders, in ihren eigenen Ländern zur Wahl gingen. Falls der Ministerpräsident zwischen diesen beiden Personengruppen zu wählen hätte, gäbe es hinsichtlich seiner Wahl keinerlei Zweifel. Abschließend fragt sich der Chefredakteur von Magyar Narancs, wer eigentlich für die Falle, in die Orbán getappt sei, die Verantwortung trage. Bojtár lässt erkennen, dass dies der Regierungschef selbst wäre.

In der Druckausgabe von Demokrata gibt der Politologe Péter Farkas Zárug eine etwas nuanciertere Antwort auf die gleiche Frage. Er glaubt, dass auch die Regierungsseite verschiedene politische Früchte aus der ansonsten heilbringenden Initiative zum Holocaust-Gedenken habe ernten wollen. Einerseits habe sie dem gewöhnlichen, aus Antisemitismusvorwürfen bestehenden Artilleriefeuer vorbeugen wollen, dem sich die Rechte seit 25 Jahren immer im Vorfeld von Wahlen ausgesetzt sah. Andererseits wollten die Imageberater der Regierung auch vermeiden, dass sie seitens „noch radikalerer rechter Kreise für philosemitische Opportunisten gehalten werden“. Deswegen, so vermutet Zárug, sei die „großartige Idee“ eines Mahnmals zur Erinnerung an den 70. Jahrestag der ungarischen Besetzung durch die Nazis in der Absicht geboren worden, sämtliche Schuld den Nazi-Invasoren in die Schuhe zu schieben. Diese Imageberater, argwöhnt der Autor, müssten in Sachen Geschichte extrem ungebildet sein, wenn sie des Holocaust gedenken wollten, ohne sich dabei auch der örtlichen Verantwortlichkeit für das Geschehene zu stellen.

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