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Streit um Weltkriegsgedenken in der Endlosschleife

10. Feb. 2014

Im Rahmen der sich immer stärker polarisierenden Diskussion über das Gedenken an den Holocaust sowie die Besetzung Ungarns durch Nazi-Deutschland fordern eine linke sowie eine liberale Stimme zu einem Boykott der von der Regierung betreuten Gedenkveranstaltungen auf. Ein gemäßigt konservativer Kommentator hingegen fürchtet, dass die fehlende Kompromissbereitschaft in der Frage der Mahnmale und Gedenkstätten lediglich Antisemiten und denjenigen zugute kommen werde, die an einer Vertiefung der ideologischen Spaltung des Landes interessiert seien.

Am Donnerstag hatte sich János Lázár, der für das Amt des Ministerpräsidenten zuständige Staatssekretär, mit jüdischen Organisationen getroffen, darunter auch dem Nationalrat jüdischer Gemeinden (Mazsihisz). Bei dem Gespräch wurden Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenkjahr erörtert. Angesprochen wurden Äußerungen des Historikers Sándor Szakály (vgl. BudaPost vom 23. Januar), das geplante Mahnmal zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg sowie das Haus der Schicksale (vgl. BudaPost vom 31. Januar). Einvernehmen konnte dabei nicht erzielt werden. Lázár sagte, er werde sich an den Ministerpräsidenten wenden. Nach Angaben der Tageszeitung Népszabadság ist die Regierung zum Bau des Weltkriegsmahnmals entschlossen, aber auch bereit, von jüdischen Organisationen empfohlene Geschichtswissenschaftler an dem Team zu beteiligen, das sich mit dem Aufbau des geplanten Museums „Haus der Schicksale“ befasst.

Unterdessen hat Mazsihisz beschlossen, das Gedenkjahr zu boykottieren, falls die Regierung Dr. Szakály nicht entlassen, das Projekt „Haus der Schicksale“ auf Eis legen sowie auf den geplanten Bau eines Mahnmals zum Gedenken an die ungarische Besetzung durch Nazi-Deutschland verzichten sollte.

Der „hysterisch-ideologische“ Angriff auf die Erinnerungskultur der Regierung lege nahe, dass die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung aus Kollaborateuren bestanden habe, beklagt Tibor Löffler in Magyar Nemzet. Der regierungsfreundliche Kolumnist erinnert jedoch daran, dass Nazi-Deutschland nicht nur von Linken, sondern auch seitens vieler gemäßigt Rechter – darunter die unmittelbar nach der Besetzung des Landes geschlossene Magyar Nemzet – bekämpft worden sei. Einige ihrer Kolumnisten seien in Todeslager deportiert worden. Löffler hält es für legitim, allen diesen Opfern der Nazi-Invasion ein Mahnmal zu errichten. Die Kritik an der Regierung hält der Autor für politisch motiviert. Während es die Orbán-Regierung für eine bedeutende Aufgabe halte, durch die Erinnerung an das vergangene Leid Ungarn mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren, hätten es linksliberale Regierungen bislang versäumt, in vergleichbarer Weise vorzugehen, kritisiert Löffler.

In Magyar Hírlap äußert sich der regierungsfreundliche Kolumnist Zsolt Bayer, der keine Notwendigkeit dafür erkennen kann, dass sich die ungarische Regierung erneut für die im Rahmen des Holocaust begangenen Verbrechen entschuldigt. Der für seine extrem zugespitzten Beiträge bekannte Bayer (dem von der Linken immer wieder Antisemitismus vorgeworfen wird) erinnert daran, dass ungarische Regierungen und christliche Kirchen seit 1990 die Verwicklung der ungarischen Behörden in den Holocaust eingeräumt und sich dafür entschuldigt hätten. Trotzdem verlangten jüdische Verbände von rechten Regierungen sowie den Christen immer und immer wieder symbolische Verbeugungen, echauffiert sich Bayer.

„Ungeachtet der von der feindseligen internationalen Propaganda nahegelegten Sichtweise haben sich die Ungarn im Laufe des 20. Jahrhunderts für eine gute Sache eingesetzt: Unsere Ideale gründeten auf Freiheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Doch ist es ebenfalls wahr, dass wir oft zu schwach, unfähig oder gelegentlich auch zu opportunistisch gewesen sind, um demgemäß zu agieren“, behauptet György Csóti, einstmals Politiker des Ungarischen Demokratischen Forums (MDF) in der gleichen Tageszeitung. Nach Einschätzung des rechtsorientierten Autors haben sich die größten Katastrophen im Lande ausschließlich zu Zeiten einer ausländischen Besatzung ereignet. Vor der Okkupation vom März 1944 durch Nazi-Deutschland sei Ungarn ein Zufluchtsort für Juden gewesen und trotz der anti-jüdischen Gesetzgebung „konnte jeder im Lande in physischer Sicherheit leben“, behauptet Csóti und fährt fort: Reichsverweser Horthy habe sich Hitler widersetzt, um die ungarischen Juden vor der Deportation zu bewahren. Die Ungarn „haben im vergangenen Jahrtausend zum Schutz der christlichen Werte des Kontinents beigetragen“. Gleiches gelte laut Csóti auch für die Wahrung von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit.

In Népszava spekuliert János Dési, dass der vom für das Amt des Ministerpräsidenten zuständige Staatssekretär János Lázár einberufene Runde Tisch den Versuch einer Spaltung des ungarischen Judentums darstelle. Durch finanzielle Offerten sowie das Angebot anderer Vergünstigungen möchte die ungarische Regierung einige jüdische Organisationen zur Unterstützung des geplanten Mahnmals im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg sowie des Holocaustmuseums „Haus der Schicksale“ überreden, um damit einem internationalen Aufschrei wegen dieser Projekte zuvorzukommen. In einem anderen Artikel vermerkt Dési, dass, obwohl die Orbán-Regierung selbst nicht antisemitisch sei, sie sich die Stimmen von Antisemiten sichern wolle, ohne gleichzeitig eine Welle internationaler Entrüstung loszutreten.

Sándor Révész ruft nicht nur die Juden, sondern jeden „selbstbewussten Ungarn“ zum Boykott der offiziellen Holocaustgedenkveranstaltungen auf. In Népszabadság bezichtigt der liberale Kommentator sowohl das Weltkriegsmahnmal als auch das Haus der Schicksale der Relativierung der von den ungarischen Behörden begangenen Verbrechen. Anstatt „in der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung“ einen Kompromiss anzustreben, fordert er den Nationalrat jüdischer Gemeinden (Mazsihisz) auf, alle Gespräche mit der Regierung abzusagen, falls diese nicht nur sämtliche früheren Entscheidungen zurückziehen, sondern sich nicht auch öffentlich für sie entschuldigen sollte.

Im wöchentlichen Leitartikel von Magyar Narancs heißt es, die jüdischen Organisationen, die einem Treffen mit der Regierung zugestimmt hatten, säßen zwischen Baum und Borke. Sollten sie einen Boykott der umstrittenen Gedenkprojekte beschließen, würden die Juden für den wahrscheinlichen internationalen Aufschrei verantwortlich gemacht werden, mutmaßt das liberale Wochenmagazin. Falls sie einen Kompromiss aushandeln und sich an den Gedenkveranstaltungen beteiligen sollten, legitimierten sie das, was der Leitartikler „die Bemühungen der Regierung um ein Reinwaschen des Horthy-Regimes“ bezeichnet.

Auf Mandiner äußert auch Gellért Rajcsányi die Vermutung, dass die ungarischen Juden die ersten sein werden, die im Falle eines Boykotts der Gedenkveranstaltungen von Seiten jüdischer Organisationen Schaden nehmen würden. Der gemäßigt konservative Kolumnist kritisiert die Äußerung von Sándor Szakály, wonach es sich bei der 1941 erfolgten Deportation von Juden um eine Maßnahme der Fremdenpolizei gehandelt habe (vgl. BudaPost vom 23. Januar). Auch empfindet Rajcsányi es als problematisch, dass die Regierung eine Entscheidung über das umstrittene Mahnmal zum Zweiten Weltkrieg hastig und ohne angemessene Beratung gefällt habe. Es sei verständlich, dass siebzig Jahre nach dem unter aktiver Teilnahme ungarischer Behörden begangenen Holocaust jüdische Verbände heftig reagierten. Dessen ungeachtet fordert Rajcsányi einen vernünftigen Kompromiss. Der Autor fürchtet, dass durch einen Boykott der Veranstaltungen die jüdischen Organisationen lediglich in die Hände von denjenigen spielen würden, die nicht an einer historischen Versöhnung interessiert seien, sondern vielmehr die ideologische Spaltung weiter vertiefen wollten. Nicht nur werde sich in diesem Falle der antisemitische Diskurs verstärken, sondern es würden auch alle Bemühungen seitens gemäßigter Persönlichkeiten um ein gemeinsames Geschichtsbild scheitern.

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