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Die Lage vor den Wahlen

17. Mar. 2014

Rechte und Linke fürchten gleichermaßen, dass Jobbik ihre Anhängerschaft bei den Wahlen vom 6. April weiter vergrößern könnte, nachdem die Partei vor vier Jahren beinahe 17 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Kommentatoren des linken Spektrums schreiben gegen die Hoffnungslosigkeit an, wobei einer von ihnen die Liberalen und Ferenc Gyurcsány für den Bankrott der Linken verantwortlich macht.

In seinem wöchentlichen Leitartikel fürchtet Endre B. Bojtár, Chefredakteur von Magyar Narancs, Jobbik könne Hauptnutznießer der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den führenden politischen Kräften sein. Bojtár beschreibt die Stimmung des Durchschnittswählers als ablehnend sowohl der Regierung als auch der linken Opposition gegenüber. 2010 sei die Stimmung ähnlich gewesen, glaubt der Autor, was zwei neuen Parteien geholfen habe, überraschend gute Resultate zu erlangen. (Jobbik und LMP erhielten zusammengerechnet 24 Prozent, während Fidesz die Wahl mit 53 Prozent gewann – Anm. d. Red.). Der Autor wirft Fidesz vor, „das Land zu plündern und zugrunde zu richten“. MSZP wiederum scheine über einen Korruptionsfall zu stolpern. Die zwei Parteien, die davon am meisten profitieren dürften, seien LMP und Jobbik. Doch während der Einzug der LMP ins Parlament fraglich erscheine, könnte Jobbik durchaus zur zweitstärksten Kraft im Parlament werden (da die Parteien der linken Allianz jeweils ihre eigenen Fraktionen bilden wollen – Anm. d. Red.). Auch wenn es noch nie so schwer gewesen sei vorherzusagen, wie sich die Wähler am Wahltag letztendlich entscheiden werden, fürchtet Endre B. Bojtár, dass das Erstarken von Jobbik „der Republik einen unheilbringenden Schlag“ versetzen könnte.

András Bencsik, Chefredakteur von Demokrata und einer der Organisatoren der regierungsnahen Friedensmärsche, ermahnt Fidesz-Wähler zum Gang an die Wahlurnen, um den Jobbik-Vormarsch zu stoppen. Den Gedanken, Jobbik könnte Koalitionspartner in einer Fidesz-geführten Regierung werden, bezeichnet er als Teil „schmutziger Intrigen“ seitens linksliberaler Meinungsführer. Die EU würde niemals eine Fidesz-Jobbik-Koalition akzeptieren, die Wähler wiederum niemals eine Fidesz-MSZP-Koalition. Deshalb sei die parlamentarische absolute Mehrheit für den Fidesz ein Muss und gerade deswegen falle jeder Stimme eine entscheidende Bedeutung zu. Laut dem Autoren würde die EU den Fidesz zwar bestrafen, falls die Partei eine Koalition mit Jobbik einginge, gleichzeitig aber eine MSZP-Jobbik-Koalition akzeptieren, handele es sich dabei doch um eine Kombination „aus Feuer und Wasser, die sich gegenseitig neutralisieren“. Wähler, die von den MSZP-Skandalen abgeschreckt seien, würden nicht für Fidesz oder gar LMP, sondern eher für Jobbik stimmen, meint der Autor. Da MSZP und Jobbik im Hass auf Fidesz verbunden seien, wieso sollten sie eine MSZP-Jobbik-Koalition ablehnen?, fragt András Bencsik. Fidesz müsse alle rechtsorientierten Wähler mobilisieren, wie er es bereits vor vier Jahren getan habe, fasst der Autor zusammen. Dies sei auch das Anliegen des letzten Friedensmarsches vor den Wahlen.

In seiner wöchentlichen Meinungskolumne für 168 óra hält Tamás Mészáros fest: Sogar die äußerst regierungskritischen Publikationen wimmelten nur so von Kommentaren, die die Oppositionsallianz als eine Ansammlung von erfolglosen, tristen und schwachen Parteien bezeichnen. Doch sie sollten es laut Mészáros besser wissen. Er beschreibt die linksliberalen Kritiker als „masochistische Rundtischexperten, die hoffnungslos draufhauen und unentschlossene Wähler kreuzigen“ würden. Doch unabhängig von der Frage, ob dies der richtige Zeitpunkt zum Kritisieren der Opposition sei, meint Mészáros, klängen die Argumente der Kritiker unwahr. Der Autor fragt: Wie können Kritiker fordern, die Opposition sollte auf dieselbe flammende Rhetorik sowie auf Hassparolen zurückgreifen wie die Regierung? Politik sei schon immer Wettkampf um Politikargumente gewesen und sollte es auch sein, betont der Autor. Diese Debatten könnten durchaus aufgeheizt und sogar populistisch seien, sollten aber nie zum Hass anstiften. Auch wenn „Aktivisten der Linken in der Tat zu spät mobilisiert“ hätten, so sei eben auch wahr, dass die Opposition nur über sehr beschränkte Möglichkeiten verfüge, ein Publikum zu erreichen. Grund dafür sei die von Fidesz geschaffene „Medien-Quarantäne“. Darüber hinaus sei es sehr schwer jene Armen zu erreichen, die sich vor allem um die Befriedigung ihrer täglichen Bedürfnisse kümmern müssten. Sie seien zu müde, zu resigniert und zu verängstigt. Der Autor schließt mit den Worten: „Wenn wir darin übereinstimmen, dass Orbán gehen muss, sollten wir nicht jene ins Wanken bringen, die dasselbe denken.“

Béla Galló, ein Berater der ehemaligen sozialistischen Politikerin Katalin Szili, die im vergangenen Jahr ihre eigene Partei gegründet hatte, wirft Ungarns Liberalen vor, die Sozialistische Partei ruiniert zu haben, indem sie ihr den „Stammeshass“ aufgezwungen habe, der die ungarische Politik bestimme. In einem Beitrag für Élet és Irodalom benennt er die sogenannte „Demokratische Charta“ als Ausgangspunkt für den Niedergang. (Dabei handelte es sich um eine von Sozialisten und liberalen Intellektuellen organisierte Bewegung gegen den angeblichen Antisemitismus und die Horthy-Nostalgie der ersten frei gewählten Regierung unter József Antall – Anm. d. Red.) Die treibende Kraft hinter der Charta sei laut Béla Galló das Bestreben der Liberalen gewesen, ihren Einfluss auf die Sozialisten auszubauen. Die auf den Ruinen der Kommunistischen Partei errichtete MSZP wiederum habe sich erhofft, durch die Verbindung mit den Liberalen Legitimität zu erlangen. Das Ergebnis sei „ein striktes Nullsummenspiel der Liberalen gegen Konservative, maskiert als Links-Rechts-Polarisierung“ gewesen. Deshalb werde die Linke gewöhnlich als „linksliberal“ bezeichnet – ein Name, der sich dem Autor zufolge auf links ausgerichtete Liberale beziehen sollte. Auch wenn die Sozialisten ursprünglich für den Schutz der Armen gestanden und neoliberale Ideen nur als vorübergehende Notwendigkeit angenommen hätten, sei ihre Koalition mit den Freien Demokraten 1994-1998 ein erster Schritt in Richtung Identitätsverlust gewesen, der praktisch zu einer Vormachtstellung der Freien Demokraten geführt habe. Dies sei auch die Zeit gewesen, in der die politische Klasse von den neuen Kapitalisten infiltriert worden sei. Galló widmet sich in seinem Beitrag ausgiebig der Kritik an Ferenc Gyursány, den er für die Verkörperung von in die Politik einsteigenden Unternehmern hält. Gyurcsánys Interesse für den dritten Weg von Tony Blair sei ein gravierender Fehler gewesen. Was in einer Gesellschaft mit einer breiten Mittelklasse funktioniere, könne nicht in Ungarn mit seinen vielen Bedürftigen angewendet werden. Gyurcsány und seine neoliberalen Reformbemühungen, schließt der Autor, seien verantwortlich nicht nur für die Zweidrittelmehrheit von Fidesz 2010, sondern auch für den Aufstieg von Jobbik.

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