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Zuschlag gegen die MSZP und Gyurcsány

10. Mar. 2014

Einigkeit unter den Kommentatoren: Die Enthüllungen eines ehemaligen sozialistischen Parlamentsabgeordneten, der wegen Korruption sechs Jahre hinter Gittern verbringen musste, sind äußerst unangenehm für die Linke. Allerdings handelt es sich dabei in den Augen linksorientierter Beobachter um Propagandalügen.

János Zuschlag war von 2002 bis 2004 sozialistischer Parlamentsabgeordneter, musste dann aber wegen eines bei einer Holocaust-Gedenkveranstaltung zum Besten gegebenen geschmacklosen Witzes sein Mandat aufgeben. Der Politiker war unter anderem Chef der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei – und in dieser Funktion beantragte er regelmäßig Regierungszuschüsse für verschiedene Jugendveranstaltungen bzw. setzte sich für deren Vergabe ein. Er wurde angeklagt und 2007 schließlich verurteilt, weil er für 75 Millionen Forint dieser Fördergelder keine Rechenschaft ablegen konnte. In einem Interview mit Napi Gazdaság, einer kürzlich von regierungsnahen Kreisen erworbenen Geschäftszeitung, kündigte Zuschlag die Veröffentlichung seines Buches zu seiner eigenen Lebensgeschichte an. Bei dieser Gelegenheit beschuldigte er verschiedene sozialistische Spitzenpolitiker, sie hätten von seinen Manipulationen gewusst.
Darüber hinaus erklärte Zuschlag, er habe Banknoten im Wert von mehreren hundert Millionen Forint in einem Geheimsafe der sozialistischen Parteizentrale gesehen. Der seinerzeitige Jugend- und Sportminister Ferenc Gyurcsány habe seine Zuschussgesuche abgesegnet – wohl wissend, was er mit den Geldern vorhabe. Diese seien, so lässt Zuschlag durchblicken, von sozialistischen Jugendorganisationen ausgegeben worden. MSZP-Chef Attila Mesterházy, der zum damaligen Zeitpunkt als Unterstaatssekretär in Gyurcsánys Ministerium gearbeitet hatte, kommt bei Zuschlag relativ glimpflich weg, behauptet dieser doch, Gyurcsány habe ihn ständig schikaniert. Schließlich berichtet Zuschlag, dass er aufgrund einer Vereinbarung mit drei führenden sozialistischen Politikern 50 Millionen Forint dafür erhalten habe, dass er bei den Parlamentswahlen 2006 nicht kandidiere. Sämtliche in dem Interview erwähnten linken Politiker haben die Anschuldigungen Zuschlags rundweg dementiert.

Die Wirkung der vom Fall Zuschlag ausgelösten „Detonation“ auf die Linke ließe sich anhand der Zahl von Pressekonferenzen ablesen, die nach Veröffentlichung des Interviews am Freitag abgesagt worden seien, schreibt Zsuzsanna Körmendy in Magyar Nemzet. Ganze zwei Wochen nach Bekanntwerden des Falls Gábor Simon, des ehemaligen stellvertretenden MSZP-Parteichefs, der geheime Gelder bei einer Österreichischen Bank deponiert hatte, bekämen die Sozialisten nunmehr „die volle Wucht sowohl ihrer korrupten Vergangenheit als auch ihrer korrupten Gegenwart zu spüren“, stellt die Autorin fest. Zuschlag habe sein Wissen ausgeplaudert, um sich selbst vor möglichen Versuchen zu schützen, ihn mundtot zu machen, „da für eine Mafia und eine korrupte politischen Organisation jemand unweigerlich eine Gefahr darstellt, der viel weiß, aber der Clique selbst nicht mehr angehört“. Für die „verbliebenen Anhänger“ der Linken müsse die Konfrontation mit der Art und Weise schmerzlich sein, mit der öffentliche Gelder in einen Geheimsafe der Parteizentrale umgeleitet worden seien. Allerdings habe „die Rechte immer gewusst, dass Gyurcsány zwangsläufig darüber im Bilde gewesen ist, wie diese Gelder innerhalb seines Ministeriums verteilt wurden“, unterstreicht Körmendy abschließend.

„Die Sozialisten haben keinen Grund mehr zur Beunruhigung.“ Mit dieser bitteren Feststellung beginnt auf Seite eins der Leitartikel der Wochenendausgabe von Népszabadság. Nach dem Schaden, verursacht von der Simon-Affäre und deren 240 Millionen Forint, würden die 50 Millionen von Zuschlag auch kein zusätzliches Unheil mehr anrichten. Die Leitartikler sind keineswegs überzeugt vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen Zuschlags, doch empfehlen sie der Linken, sie nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenn die Linke in diesen Tagen in Schwierigkeiten stecke, dann genau deswegen, weil sich die Wähler „diesbezüglich sehr viel ausmalen können“. Jetzt komme es darauf an, so Népszabadság, ob die Leute wohl auch diese Geschichte glauben würden, einschließlich des Geheimsafes voller Banknoten. Die Verfasser des Leitartikels selbst sind misstrauisch, da das Buch von Századvég herausgegeben wurde, einer regierungsfreundlichen Denkfabrik, die im Laufe der vergangenen vier Jahre bereits zahlreiche und nicht unbedeutende staatliche Zuwendungen erhalten hatte.

In Népszava gibt sich Péter Somfai überzeugt, dass es sich bei der ganzen Geschichte um die Erfindung von Fidesz-Imageberatern handelt, die nach einer weiteren Gelegenheit für einen Angriff auf Gyurcsány Ausschau gehalten und zudem noch eine auf Attila Mesterházy zielende Waffe ausfindig gemacht hätten. „Eine ganze Kohorte von Charakter-Killern hat bei ihm weder versteckte Millionen noch geheime Villen, ja nicht einmal ein ausländisches Unternehmen in irgendeiner Steueroase entdecken können.“ Somfai glaubt die Geschichte über die angeblich Zuschlag in einem Plastikbeutel ausgehändigten 50 Millionen nicht. Vielmehr hält er sie für eine von „Giftmischern aus der Lendvaystraße“ fabrizierte Lügengeschichte. (In der Lendvaystraße befindet sich die Fidesz-Parteizentrale – Anm. d. Red.) Möglicherweise habe Napi Gazdaság Zuschlag reichlich entschädigt, mutmaßt der Népszava-Autor. „Das war einmal eine angesehene Tageszeitung, die mittlerweile zu einer Fidesz-freundlichen Geschäftszeitung im Stile der Boulevardpresse degeneriert ist“, wettert Somfai. Falls der Chefredakteur von Napi Gazdaság – wie von ihm behauptet – tatsächlich an den Anomalien der Parteienfinanzierung interessiert sei, sollte er einmal László Csizmadia befragen, den Chef derjenigen Nichtregierungsorganisation, die die wichtigste Veranstalterin einer Serie von „regierungsfreundlichen Friedensmärschen“ sei und in jüngster Vergangenheit hinter einer massiven Plakat-Kampagne mit der Empfehlung stecke: „Die linken Spitzenpolitiker verdienen keine weitere Chance.“

In einem kurzen auf Index erschienenen Kommentar stellt Márton Kárpáti trocken fest: Nach den schlechten Umfrageergebnissen sowie der Simon-Affäre entpuppe sich die jüngste Geschichte des Plastikbeutels voller Geld als einfach zu viel für die linke Allianz. „Dabei ist der Wahlkampf noch längst nicht vorbei.“ Es müsse viele Menschen geben, die Orbán nicht gerne wählen würden, doch „ist es immer schwieriger vorherzusagen, weshalb ein ehemaliger Wähler der Linken die Spitzenpolitiker der Allianz besser finden sollte“. Deswegen, so schlussfolgert Kárpáti, gelte die wichtigste Sorge des Fidesz nach vier Jahren in der Regierung der Frage, ob die Partei eine einfache absolute Mehrheit oder – wie beim letzten Mal – zwei Drittel der Mandate gewinnen werde.

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