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Überlegungen zum Wahlrecht

9. Apr. 2014

Eine linksorientierte Kolumnistin beschuldigt die Regierung indirekt des Wahlbetrugs, da sie ein für sie günstiges Wahlgesetz verabschiedet habe. Die führende linke Tageszeitung dagegen warnt davor, das neue Wahlsystem für die Niederlage der Opposition verantwortlich zu machen. Ein Analyst der politischen Mitte verweist darauf, dass die neuen Bestimmungen in gewisser Weise den Fidesz etwas stärker begünstigen würden als die früheren, allerdings hätten die Regierenden in Anbetracht der Anzahl der tatsächlich für ihre Kandidaten abgegebenen Stimmen bei jedem Wahlsystem gesiegt.

In Népszabadság wirft Judit N. Kósa dem Fidesz vor, er habe das Wahlrecht im Sinne seiner eigenen Interessen maßgeschneidert. „Wir wissen, dass der Fidesz die Wahlen durch die Einführung von Bestimmungen manipuliert hat, die ihm eine größtmögliche Machtfülle bescheren“, behauptet die linksorientiert Kolumnistin. Sie fügt hinzu, dass die Abschaffung des zweistufigen Wahlsystems die Linken zu einer Zusammenarbeit bereits vor den Wahlen genötigt und sie nach deren Niederlage zu einem eigenartigen Hin und Her von gegenseitigen Schuldzuweisungen verurteilt habe. In einer Randnotiz schreibt die Autorin, dass die Wahlbeteiligung bei knapp über 60 Prozent gelegen habe und selbst unter denjenigen, die ins Wahllokal gegangen seien, hätten lediglich vier von zehn Wählerinnen und Wählern die Regierungspartei unterstützt (44,4 Prozent), was Kósa als Anzeichen dafür interpretiert, dass die Ungarn die Nase voll haben von Ministerpräsident Orbán.

Interessanterweise heißt es im Leitartikel auf der Titelseite der gleichen Tageszeitung, dass die Wähler Ministerpräsident Orbán aus dem Amt hätten wählen können – und zwar unter genau diesem System. Die Spitzenpolitiker der Linken hätten offenbar noch immer nicht verstanden, dass das Stimmvolk ihnen eine klare Botschaft gesendet habe, argumentiert Népszabadság. Falls die Linke die Gründe für ihre Wahlniederlage nicht begriffen habe, würden sie die Chance für einen kompletten Neuanfang verpassen, schlussfolgert die führende linksorientierte Tageszeitung.

Es existiere kein demokratisches Wahlsystem, das den Oppositionsparteien an die Macht verholfen hätte, ist sich Gábor Török sicher. „Der Fidesz hätte sogar in jedem möglichen System außer dem vollen Verhältniswahlrecht eine Zweidrittelmehrheit gewonnen“, vermerkt der in der politischen Mitte angesiedelte Analyst und Blogger. Er räumt jedoch ein, dass die neuen Regularien den Fidesz tatsächlich bevorzugten, da, obgleich die Mitte-Rechts-Partei 600.000 Stimmen eingebüßt und die linke Opposition etwa 250.000 Stimmen dazugewonnen habe, der Fidesz seine Mehrheit habe behaupten können. Das Arrangieren von Wahlen mittels der Novellierung von Wahlgesetzen sei laut Török kein einzigartiges Phänomen, wohl aber eine von Mehrheiten angewandte durchaus übliche und alltägliche Methode.