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Orbán in Berlin

12. May. 2014

Die Vision von Ministerpräsident Viktor Orbán sei zu konservativ – selbst für deutsche Christdemokraten, meint eine linke Kolumnistin anlässlich der Rede Orbáns in Berlin und seines Treffens mit Kanzlerin Angela Merkel. Kommentatoren des rechten Spektrums wiederum halten fest, dass die Bundesregierung Ungarn als wichtigen und verlässlichen wirtschaftlichen und geopolitischen Verbündeten betrachte.

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel vor ihrem Treffen in Berlin am Donnerstag nannte Viktor Orbán Deutschland einen strategischen Hauptverbündeten für Ungarn und fügte hinzu, dass es Anliegen seiner Regierung sei, die guten bilateralen Beziehungen weiter zu verbessern. Im Hinblick auf die Ukraine unterstützte Ministerpräsident Orbán die deutschen Anstrengungen um eine diplomatische Lösung der Krise und zeigte sich gegenüber einer gemeinsamen Haltung der EU in dieser Frage verpflichtet. Kanzlerin Merkel meinte, Ministerpräsident Orbáns erdrutschartiger Wahlsieg sei ein Zeichen des Vertrauens der Ungarn in seine Regierung. Jedoch fügte sie hinzu, dass ein solches Vertrauen auch eine große Verantwortung beinhalte. Angela Merkel betonte die „Wichtigkeit von berechenbaren gesetzlichen Rahmenbedingungen in Ungarn“, sagte aber auch, dass es eine stattliche Anzahl von erfolgreichen Beispielen der deutsch-ungarischen Zusammenarbeit gebe.
In seiner Rede beim WDR-Europaforum machte Ministerpräsident Orbán deutlich, dass Ungarn von der EU-Mitgliedschaft profitiert habe. Gleichwohl könnten post-kommunistische Länder bei der Überwindung ihrer real existierenden Probleme nicht einfach westeuropäischen Praktiken nacheifern. Beim Blick auf aktuelle europäische Fragen beschwor Orbán die Bedeutung christlicher Familienwerte, die seiner Meinung nach entscheidend wären, um mit den demografischen und zivilisatorischen Herausforderungen fertig zu werden, mit denen Europa konfrontiert sei.

Ministerpräsident Orbán wolle die aus seinem Blickwinkel liberalen Entwicklungen nach 1968 zugunsten einer erneuten Stärkung christlicher Werte umkehren, spekuliert Edit Inotai in Népszabadság. Es sei jedoch höchst unwahrscheinlich, dass diese „paläo-konservativen“ Ansichten über die Familie in Deutschland willkommen seien, wo selbst Christdemokraten bei gleichgeschlechtlichen Ehen und anderen, nicht-traditionellen Lebensformen toleranter geworden seien. Die Autorin glaubt nicht, dass das traditionelle christliche Familienmodell bei der Überwindung der demografischen Krise in den europäischen Staaten hilfreich sein werde, da immer mehr Kinder außerehelich geboren würden.

Gute Beziehungen mit den strategischen Hauptverbündeten – allen voran den Visegrád-Staaten und Deutschland – seien für Ungarn von immenser Bedeutung, meint Gábor Stier in Magyar Nemzet. Der konservative Analyst hebt hervor, dass europäische Politiker die Errungenschaften der Orbán-Regierung anerkennen und manche sogar einige ihrer unorthodoxen wirtschaftspolitischen Maßnahmen kopieren würden, die sie zunächst noch kritisiert hatten. Ungarn brauche die Unterstützung seiner Verbündeten in der EU, um seine Einflussmöglichkeiten auf europäischer Ebene zu stärken, glaubt der Autor. Konkret auf das ungarisch-deutsche Spitzentreffen eingehend schreibt Stier, Deutschland verstünde, dass Ungarns wirtschaftliche Öffnung nach Osten – inklusive Russland – keine Schwächung in seinem Engagement für das europäische Projekt bedeute.

Nach Jahren der Kritik haben Deutschlands Politiker dieses Mal einen gemäßigteren Ton gegenüber Ministerpräsident Orbán angeschlagen, konstatiert Gyula T. Máté in Magyar Hírlap. Deutsche Investoren seien zwar nach wie vor alles andere als glücklich über Überschusssteuern, die Banken, Telekommunikationsunternehmen, Handelsketten und Energieversorgern auferlegt werden. Jedoch werde eine solche Politik als das kleinere Übel wahrgenommen als eine öffentliche Revolte oder ein Boykott von Banken, wie es in Griechenland der Fall gewesen sei. Nach Ansicht des regierungsfreundlichen Autors seien ausländische Investoren froh über den Erdrutschwahlsieg des Fidesz, schließlich bedeute eine Zweidrittel-Mehrheit Stabilität und Berechenbarkeit. Zusätzlich zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit hätten Deutschland und Ungarn ebenso gemeinsame außenpolitische Interessen. Beide Länder seien von der Ukraine-Krise betroffen und würden der territorialen Integrität die größte Bedeutung beimessen. Gleichzeitig aber seien Deutschland und Ungarn auch abhängig von russischer Energie und so läge es nicht im Interesse beider Länder, die Kluft zwischen Europa und Russland zu vertiefen, so Máté.

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