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Viktor Orbáns Antrittsrede

13. May. 2014

Eine regierungsfreundliche Kommentatorin ist der Ansicht, Viktor Orbán wolle dem Land als Ganzem dienen, doch werde die Opposition die nationale Aussöhnung unmöglich machen. Eine linke Tageszeitung deutet Orbáns Rede als Beweis dafür, dass der Ministerpräsident Menschen mit anderen politischen Ansichten auch künftig als Feinde betrachten werde. Ein liberales Blatt wiederum argwöhnt, dass die Äußerungen des Ministerpräsidenten über nationale Einheit den Hintergedanken verfolgen, liberale sowie linke Meinungen und Initiativen zu unterdrücken.

In seiner kurz nach seiner offiziellen Wiederwahl als Ministerpräsident gehaltenen Rede sagte Viktor Orbán, er werde seine Zweidrittelmehrheit nutzen, um zwei Dritteln des Landes zu dienen. Ebenso kündigte er an, er werde aus der Mitte regieren und Extremismus zurückweisen – also „Tendenzen, die eine Gefahr für Ungarn bedeuten“. Das beinhalte all jene, die Kriminelle anstatt deren Opfer oder Arbeitslosigkeit statt Arbeit förderten. Als Extremisten brandmarkte er auch jene, die entweder ein komplett zentralisiertes Europa ohne nationale Souveränität anstrebten, oder solche, die sich in anti-europäischer Agitation ergingen. Er beschwor die Loyalität Ungarns zur NATO- und EU-Mitgliedschaft, merkte aber auch an, dass er für ein stärkeres und wettbewerbsfähigeres Europa mit geringeren Energiepreisen und Vollbeschäftigung werben wolle. Ebenfalls wolle er die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Osten fortsetzen, ein starkes Mitteleuropa schaffen und – in Hinblick auf die 200.000 in der Ukraine lebenden ethnischen Ungarn – die Auslandsungarn und deren Forderungen nach Autonomie unterstützen.

In ihrem Leitartikel in Magyar Nemzet konzentriert sich Matild Torkos auf das Versprechen des Ministerpräsidenten, er wolle nicht nur zwei Dritteln der Bewohner des Landes dienen, sondern (im Hinblick auf die Auslandsungarn*) auch der „Nation“. Als unzivilisiert verurteilt Torkos sowohl die Entscheidung der Sozialisten, den Veranstaltungsort noch vor der Rede Orbáns zu verlassen, als auch die Tatsache, dass der Chef der Demokratischen Koalition (DK), Ferenc Gyurcsány, gar nicht erst erschienen war. Immerhin aber sei es das erste Mal gewesen, dass „ein Ministerpräsident ins Amt eingeführt wurde, ohne dass jemand dabei gewesen wäre, der etwas mit der Nachfolgepartei (der Kommunistischen Partei) zu tun habe“.
Dessen ungeachtet verhieße diese Geste laut der Autorin nichts Gutes in Hinblick auf eine zukünftige Versöhnung und einen Ausgleich. Laut Torkos habe seine Rede eine klare Vorstellung davon aufgezeigt, in welche Richtung Orbán das Land steuern wolle – nämlich Arbeit, Erfolg, nationale Souveränität. Jedoch hält sie auch die Tatsache fest, dass Orbán nicht von denen gesprochen habe, „die niemals die Möglichkeit haben werden zu arbeiten, die in schwierigen Umständen leben und sich um Kinder kümmern“. Torkos drückt ihre Hoffnung aus, die Regierung werde einen christlichen Ansatz verfolgen, um deren Notlage zu lindern. Sie schließt mit dem Wunsch, dass Ungarn „Europa und der Welt nun tatsächlich ein gelasseneres Gesicht präsentieren“ werde.

Der auf den ersten Anschein versöhnliche Ton der Orbán-Rede sei eine Täuschung gewesen, schreibt Tamás Gomperz in einem wütenden Beitrag für HVG online. Vor vier Jahren habe er Demut und Bescheidenheit betont, doch diese Worte seien laut Gomperz konterkariert worden durch:

  • die Stadien und die Hochzeit (von Orbáns ältester Tochter);
  • die Jagd nach einem Mobiltelefon (nach der Hochzeit befragte die Polizei sämtliches Personal, weil ein Mobiltelefon verloren gegangen war);
  • die TEK (eine spezielle Anti-Terror-Einheit);
  • die Jagdhütte (benutzt von Zsolt Semjén, Vorsitzender des Fidesz-Koalitionspartners KDNP, aber im Besitz der Ehefrau Orbáns)

Orbán könne erklären, fährt Tamás Gamperz fort, er wolle zwei Dritteln der Ungarn dienen, „aber er könnte sich genauso gut Humphrey Bogart nennen“: Er habe immer jenen zwei Millionen gedient, die ihn wählen, und „dann gibt es den Rest des Landes, also diejenigen, die sich nicht mit der Verfassung identifizieren können, die das Denkmal (für die Opfer der Nazi-Besatzung) nicht mögen, denen ihre Geschäfte, Jobs und Papiere weggenommen werden können, wenn es die herrschende Klasse so wünscht“.
Gamperz nimmt den Skandal um den so genannten Norwegischen Fonds als Beispiel, wie das weitere Vorgehen des Ministerpräsidenten aussehen werde. Das Wesen des Regimes werde durch die Person und die Aktivitäten von János Lázár verkörpert. Und das sei laut Gamperz das Regime, „das wir in den nächste vier Jahren am Hals haben werden“. (Der Norwegische Fonds ist ein Beitrag zum EU-Struktur- und Kohäsionsfonds von Ländern, die der OECD [Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung] angehören, nicht aber der EU. Unlängst hatte der prominente Fidesz-Politiker János Lázár derjenigen Nichtregierungsorganisation, die Zuschüsse des Norwegischen Fonds an andere NGOs verwaltet, vorgeworfen, sie stehe der grünen Oppositionspartei LMP nahe. Die Regierung schlug in der Folge vor, das Management dieser Zuschüsse zu übernehmen. Der norwegische Außenminister dementierte daraufhin jegliche Einmischung in die ungarische Innenpolitik. Des weiteren legten die Norweger Transferzahlungen für andere Projekte auf Eis, als deren Management einer Regierungsagentur entzogen und unmittelbar dem Amt des Ministerpräsidenten übertragen wurde. Die Geldgeber aber wollen Garantien für eine kontinuierliche Transparenz erhalten. Kommentatoren des linken Spektrums sind der Ansicht, dass die Aussetzung der Zahlungen eine Reaktion auf Lázárs Brief gewesen sei. Tatsächlich aber läuft das NGO-Projekt gar nicht aus. Allerdings schlug Lázár vor, auch die NGO-Programme so lange auszusetzen, bis beide Seiten „eine gegenseitig befriedigende Lösung“ gefunden hätten.)

In Népszabadság erwartet Ákos Tóth eine Regierung „für die Privilegierten“. Für den Autor ergibt sich dies aus einem kleinen Detail der Orbán-Rede. Als der Ministerpräsident nämlich sagte, er werde zwei Dritteln der Nation dienen, habe er auch angemerkt, dass er sich an das ihm entgegengebrachte Vertrauen „erinnern“ werde. Nach Ansicht von Tóth sind damit Fidesz-Wähler gemeint. Erwähnenswert findet der Autor die Warnung des Ministerpräsidenten, dass Selbstbeschränkung notwendig sei, stellt aber auch fest, dass „Antal Rogán und János Lázár nur gelächelt“ hätten. Orbáns Zitat, wonach „Frieden nicht nur einfach die Abwesenheit von Krieg“ sei (in Anlehnung an ein Zitat von Ronald Reagan, der gesagt hatte, Frieden meine die Möglichkeit, Konflikte friedlich zu lösen), deutet der Autor als Warnung an jene, die nicht mit ihm übereinstimmten. Jeder, der gegen das System eingestellt sei, werde als Feind betrachtet, schließt Tóth.

*) Anmerkung: Alle in Klammern gesetzten kursiven Erklärungen stammen von der BP-Redaktion und dienen dem Verständnis.

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