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Imre Kertész – eine Hommage

16. Aug. 2014

Die Historikerin Mária Schmidt lobt den Literaturnobelpreisträger Imre Kertész für dessen vehemente Ablehnung sämtlicher Ausprägungen einer Diktatur. Dabei fragt sich die Autorin, weshalb die Kertészʼschen „messerscharfen“ Analysen der jüngsten Geschichte Ungarns nicht öffentlich diskutiert würden.

In der Druckausgabe von Heti Válasz vergleicht die Historikerin Mária Schmidt Imre Kertész mit seinem Vorbild, dem französischen Schriftsteller Albert Camus, der, nachdem er den Kommunismus im Allgemeinen und die Sowjetunion für deren Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes im Jahre 1956 im Besonderen verurteilt hatte, von linken Intellektuellen ins Abseits gedrängt worden sei. Genau wie Camus habe auch Kertész (85) lange Jahre in der Isolation und sogar im freiwilligen Exil in Berlin verbracht. Er habe das Gefühl gehabt, sich zutiefst vom Mainstream der ungarischen linksliberalen Intellektuellen zu unterscheiden, und sei bei der Verurteilung derjenigen unter ihnen unerbittlich gewesen, die begeisterte Anhänger des kommunistischen Regimes gewesen oder mit diesem unmoralische Kompromisse eingegangen seien. Deren Misstrauen Kertész gegenüber habe sich mit Eifersucht gepaart, als ihm 2002 für die einzigartige Art und Weise der Darstellung und Interpretation des Holocaust in seinen Werken der Literaturnobelpreis verliehen wurde.
Auch sei Kertész darin unerreicht, wie er den weit verbreiteten Missbrauch des Holocaust abgelehnt habe. Hierin liege, so Schmidt, auch ein Grund für seine Ausgrenzung: Er habe allgemeingültige Schlussfolgerungen aus dem Holocaust gezogen und keine moralischen Unterschiede zwischen den Todeslagern der Nazis und dem sowjetischen Gulag gesehen. Zudem habe er nie aufgehört, über seine eigene Lage nachzudenken, habe immer gespürt, dass er lediglich ein Gast in Berlin sei, und sich entschlossen, für seine letzten Lebensjahre in sein Heimatland zurückzukehren. „Imre Kertész ist ein freier Mann“, schreibt die Historikerin. „Er ist einer in den Zeiten und ungeachtet beider unmenschlichen Diktaturen geblieben. Und er ist heute nach wie vor ein freier Mann. Gott segne ihn.“

(In einer redaktionellen Anmerkung berichtet Heti Válasz, dass Imre Kertész am 20. August, dem Nationalfeiertag, eine der höchsten Auszeichnungen Ungarns verliehen werden wird.)

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