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Amerika wünscht Politikwandel in Ungarn

27. Oct. 2014

Kommentatoren quer durch das politische Spektrum stimmen darin überein, dass die USA eine politische Kehrtwende von Ungarn fordern. Sie alle stellen das unlängst verhängte Reiseverbot gegen sechs ungarische, der Korruption verdächtige Personen in diesen Kontext. Unterschiedliche Meinungen herrschen jedoch darüber, wer in dieser Auseinandersetzung Recht hat und wer nicht.

Im Leitartikel auf ihrer Titelseite vom Wochenende stellt Népszabadság fest, es sei für einen führenden Diplomaten höchst ungewöhnlich, sich zum dritten Mal innerhalb von sieben Tagen mit der Presse zu treffen. Der Chargé d’affaires (Geschäftsträger) der US-Botschaft in Budapest habe dies aber vorexerziert. (André Goodfriend hatte laut Népszabadság festgestellt, dass – im Hinblick auf die Korruption – „der Trend ein negativer ist“. Ebenso hatte er seine Bedenken mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit, die schwierige Lage von NGOs und hinsichtlich der Pressefreiheit ausgedrückt. „Wir wollen nicht, dass sich dieser enttäuschende Trend fortsetzt“, hatte Goodfriend wörtlich formuliert – Anm. d. Red.) Die linke Tageszeitung hält die gegenwärtigen Kommunikationsspielchen zwischen der US-Botschaft und der ungarischen Regierung für unfruchtbar, da die Amerikaner die Namen der sechs vom Einreiseverbot betroffenen Personen aufgrund des Privacy Act nicht nennen können, während die Ungarn für eine Untersuchung der angeblichen Korruptionsfälle Informationen und Beweise fordern. Népszabadság vermutet, dass die Regierung – anstatt dieses Kommunikationsspielchen weiterzuspielen – schleunigst den Grundstein für eine Anti-Korruptions-Behörde legen sollte, „die vielleicht sogar den Budapester Vertreter der US-Diplomatie zum Schweigen bringen könnte“.

Ministerpräsident Orbán sei unmissverständlich mitgeteilt worden, dass die USA dessen Politik nicht mehr länger tolerieren würden, heißt es in der Druckausgabe von Magyar Narancs. Der wöchentliche Leitartikel analysiert die möglichen Folgen des Disputs und umreißt verschiedene Alternativen: So könnte die Affäre unter den Teppich gekehrt oder die Anschuldigungen könnten mit einem nationalistischen Zungenschlag zurückgewiesen – oder aber einige Staatsbedienstete als Schuldige benannt werden. Die nach Ansicht des Wochenmagazins unwahrscheinlichste Option wäre hingegen, dass die Regierung eine gründliche Untersuchung der mutmaßlichen Korruptionsfälle anordnet. Die Autoren glauben, der Ministerpräsident agiere „gegen die (westliche) Allianz, obwohl er ihr angehört“, und gerade dies werde „von den USA oder augenscheinlich von der EU (insbesondere Deutschland)“ nicht hingenommen. Magyar Narancs macht aber darauf aufmerksam, dass das gegenwärtige Regime weder von den USA noch von Deutschland gestürzt werde.

In HVG kritisiert István Riba das ungarische Außenministerium, vorausgegangene Signale der amerikanischen Unzufriedenheit grandios missverstanden zu haben, teilweise bedingt durch erhebliche Umstrukturierungen innerhalb des Hauses. Der für das Amt des Ministerpräsidenten zuständige János Lázár habe zugegeben, dass ungarische Diplomaten Fehler begangen hätten. „Die Äußerungen Clintons und Obamas dürfen nicht in überheblicher Art und Weise kommentiert werden“, so Lázár. Auch habe er bemängelt, dass die Kommunikation über die ungarisch-russischen Beziehungen unzulänglich gewesen sei. Riba glaubt jedoch, dass auch die neue Führung der ungarischen Diplomatie die anstehenden Probleme unterschätzen könnte. Der neue Minister Péter Szíjjártó nämlich habe seine Anstrengungen darauf konzentriert, Ungarns wirtschaftliche Interessen im Ausland zu befördern, während der sich vollziehende Vertrauensverlust der ungarischen Wirtschaft viel mehr schaden würde, als was sich aufgrund der neuen Politik einer „Öffnung nach Osten“ gewinnen ließe.

Amerika habe erkannt, dass seine ungarischen Unterstützer nur dann zurück an die Macht gebracht werden könnten, wenn sie Hilfe aus dem Ausland erhielten, schreibt Gábor Bencsik in Demokrata. Die USA hätten ebenso verstanden, dass der Fidesz nicht willens sei, sich an amerikanischen Interessen zu orientieren. So habe man sich beispielsweise zum Kauf nicht-amerikanischer Kampfflugzeuge entschlossen. Unlängst sei ein russischer Anbieter zum Bau eines neuen Kernkraftwerks ausgewählt worden. Zwischenzeitlich seien großen westlichen Banken massive Steuern auferlegt worden. Zudem habe sich Ungarn gegen „das gesamte weltweite und von Amerika angeführte politisch-ökonomische System“ gestellt sowie einen Dialog mit Mächten begonnen, die von den USA als Wettbewerber angesehen würden. Von Washington aus betrachtet, fährt Bencsik fort, kulminiere all das in einer Revolte seitens eines Verbündeten, die – in einem ersten Schritt – eine ernste Warnung losgetreten habe. Diese Warnung müsse erst genommen werden, meint der Autor und umreißt anschließend mögliche Reaktionen. Einerseits könnte Ungarn seine Verbindungen zu Russland und China abkühlen lassen und amerikanische Militärtechnologie kaufen, zum Beispiel ein Dutzend veralteter Kampfhubschrauber. Alternativ könnte sich Ungarn mit denen verbünden, deren Interessen sich mit den eigenen in Einklang bringen ließen. Die USA seien heute die führende Weltmacht, räumt Bencsik ein, und deshalb müsse Ungarn gute Beziehungen zu Washington pflegen. Allerdings könnten diese nicht nur durch Demut erreicht werden, schließt der Analyst aus dem rechten Spektrum seine Ausführungen.

In seinem wöchentlichen Leitartikel in Heti Válasz äußert sich Gábor Borókai: Wenn wir einmal davon ausgingen, die Vereinigten Staaten seien unsere Freunde, so sollten wir ihnen klarmachen, dass wir zur Klärung von Fragen bereit seien – inklusive einer Untersuchung von seitens der USA aufgedeckten Korruptionsfällen. Das spektakuläre Einreiseverbot für ungarische Staatsbeamte und Geschäftsleute signalisiere eine plötzliche Wende hin zum Negativen im ohnehin schon kühlen bilateralen Verhältnis. Und da sich eine solch rasante Veränderung im Bereich ungarischer Korruption nicht ereignet habe, müssten, so Borókai, die Gründe politischer Natur seien. Der Autor vermutet hinter der in den vergangenen Jahren spürbaren Abkühlung der ungarisch-amerikanischen Beziehungen den ungarischen Zwang, eine unorthodoxe Politik zu betreiben, für die Amerika kein Verständnis gezeigt habe. „Unsere Regierung ist dort drüben ins Zwielicht geraten“. Ungarns Kritik an der einheimischen liberalen Demokratie und am Wohlfahrtsstaat sei als eine Kritik der westlichen liberalen Demokratie verstanden worden, fährt Borókai fort. In der Zwischenzeit habe Ungarn seine Beziehungen zu Russland im falschen Moment intensiviert, als nämlich die Ukraine-Krise einen derartigen Schritt in einem anderen Licht habe erscheinen lassen. „Menschen, die das Novum dieser Situation nicht erkennen, können sich selbst sehr schnell außerhalb der Gesellschaft wiederfinden“, warnt der Autor. Die ersten (ungarischen) Reaktionen auf die Schritte der Amerikaner zeigten, „dass wir die Botschaft nicht verstanden haben“. Was jetzt gebraucht werde, seien ein kühler Kopf und Verhandlungsbereitschaft. „Es ist sinnlos, einen unverhohlenen Zweikampf heraufzubeschwören“, merkt Borókai zum Abschluss an.

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