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Zur fernen Aussicht eines neuerlichen Regimewechsels

29. Dec. 2014

In einem zweiteiligen Aufsatz macht ein liberaler Autor darauf aufmerksam, dass oppositionelle Gruppierungen gegenwärtig keinerlei Hinweis darauf erkennen ließen, was sie im Falle einer Entmachtung der amtierenden Regierung unternehmen würden. Ministerpräsident Orbán habe eingesehen, dass er sich beim Regieren auf in den späten Jahren des Kommunismus wurzelnden Stimmungen einlassen müsse, wenn er öffentlichen Zuspruch erhalten wolle.

Die regierungskritischen Demonstranten der jüngsten Zeit haben es auf einen erneuten Regimewechsel abgesehen, schreibt Péter Tölgyessy in einer zweiteiligen Analyse (Teil eins, Teil zwei) auf Index. (Tölgyessy war in den Jahren 1991 und 92 Vorsitzender des liberalen Bundes Freier Demokraten [SZDSZ]. Von 1998 bis 2006 saß er für den Fidesz im Parlament – Anm. d. Red.) Tölgyessy glaubt, dass der linksorientierte liberalistisch-demokratische Rebell der Jahre 1989/90 Viktor Orbán mittlerweile zu einer Einsicht gelangt sei. Demnach gelte es, sich im Sinne der Machterlangung in der Kultur der sozialistischen Ära wurzelnde Stimmungen zu eigen zu machen – also einer Periode, die auf Zentralisierung sowie zentraler statt gegenseitiger Kontrolle ausgerichtet gewesen sei.
In Ungarn sei die Zivilgesellschaft schwach geblieben und nach den finanzpolitischen Schocks kapitalistischer Reformen der frühen 1990er Jahre hätten die Ungarn vom Staat erwartet, für Wohlergehen und Schutz vor wirtschaftlichem Wettbewerb zu sorgen. Nach Ansicht des Autors habe Orbán die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit gewinnen können, weil er die Staatsmacht zum Schutz der Mittelklasse instrumentalisiert und den Nationalstolz durch nationalistische Rhetorik wiederhergestellt habe.
In Hinblick auf die jüngsten gegen die Regierung gerichteten Proteste äußert Tölgyessy den Verdacht, dass, obgleich die Demonstrationen das Versprechen eines erneuten Regimewechsels in sich trügen, sie auch in „ein Chaos à la Ukraine“ münden könnten. Die Demonstranten, zu denen globalisierungskritische Linke wie auch marktorientierte Liberale gehörten, seien in ihrem Verlangen nach einem vollständigen Austausch des gegenwärtigen politischen Systems geeint. Allerdings zweifelt Tölgyessy daran, dass die gegenwärtigen Demonstrationen den Sturz der Regierung bewirken könnten. Die neuen regierungskritischen Gruppierungen verfügten offenbar über keinerlei schlüssiges Regierungskonzept. Dessen ungeachtet sieht der Autor die Proteste als ein erstes Anzeichen für Risse in der fest gefügten Struktur der Regierung.

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