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Todesstrafe weiter im Fokus

11. May. 2015

Der Ministerpräsident hat eine Diskussion zum Thema Todesstrafe angeregt und damit in ein Wespennest gestochen: Das Internet quillt über von Kommentaren, wobei viele einen Neubeginn der Debatte ablehnen. Andere wiederum finden vernünftige Gründe, weshalb der Ministerpräsident versuchen sollte, das Thema am Köcheln zu halten.

Im allwöchentlich in Heti Válasz erscheinenden Zwiegespräch zweier Politologen meint Ágoston Sámuel Mráz, dass der Ministerpräsidenten einen gemäßigten Standpunkt zwischen der radikal rechten Haltung zur Todesstrafe und der altbekannte „Mantras” wiederholenden Position der linksliberalen Opposition vertrete. Gábor Török erwidert, dass eine gemäßigte Haltung nicht möglich sei bei einem Thema, bei dem man sich zwischen Ja und Nein entscheiden müsse. Er selbst sei eher für die Todesstrafe, jedoch wirft Török dem Ministerpräsidenten vor, eine nichtssagende Show aufzuführen, da die Todesstrafe ganz einfach nicht eingeführt werden könne. Mráz wiederum spricht sich gegen die Todesstrafe aus, verweist aber darauf, dass der Ministerpräsident selbst niemals für sie eingetreten sei.

Nach seiner ursprünglichen Stellungnahme, wonach die Todesstrafe „auf der Tagesordnung bleiben muss“, sowie seiner Zusicherung gegenüber EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, dass er nicht die Absicht habe, die Todesstrafe in Ungarn einzuführen, sagte Ministerpräsident Viktor Orbán am Freitag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, er wäre für das Leben und würde die Todesstrafe solange ablehnen, wie das Leben der Bürger ohne deren Einführung geschützt werden könne. Orbán sprach sich dafür aus, dass die einzelnen EU-Staaten ungezwungen über eine Einführung der Todesstrafe entscheiden können (vgl. BudaPost zur Todesstrafen-Diskussion).

Auf Alternatíva kritisiert Dávid Lakner Gábor Török dafür, dass er sich quasi en passant für die Todesstrafe ausgesprochen habe, ohne die Gründe dafür zu erklären. Der Staat könne nicht über das Leben der Bürger entscheiden, argumentiert der Autor und stellt die Frage, wie der Staat Mörder verurteilen könne, wenn er selbst zu einem geworden sei.

In einer prompten Antwort auf seiner Facebook-Seite räsoniert Gábor Török, dass die Todesstrafe in extremen Fällen nicht ausgeschlossen werden sollte. Hätte zum Beispiel Hitler den Zweiten Weltkrieg überlebt, hätte Török ihm nicht gewünscht, friedlich in einem deutschen Gefängnis zu wohnen. Aus dem selben Grund hält es Török für ungerechtfertigt, dass der norwegische Massenmörder Anders Breivik seine Zeit in einem komfortablen norwegischen Gefängnis verbringe.

In Magyar Nemzet kritisiert Zsuzsanna Körmendy all jene scharf, die über eine Wiedereinführung der Todesstrafe diskutierten, ohne auch nur die geringste Vorstellung von dem langen Kampf zu haben, der zu ihrer Abschaffung in den europäischen Ländern geführt habe. Diese Tradition sei ein integraler Bestandteil der europäischen Identität. Solange Europa Europa bleibe, mahnt Körmendy, stehe es keinem europäische Land zu, die Todesstrafe wieder einzuführen – ganz egal, ob der jeweilige Staat der Europäischen Union angehöre oder nicht. Die Verträge der Union hätten lediglich einen gesamteuropäischen kulturellen und moralischen Konsens zu diesem Thema festgeschrieben, schreibt die Autorin. „Wir sind nicht Amerika. Dieser Kontinent hat in zwei Weltkriegen und bei so vielen Revolutionen zu viel gelitten, um den elektrischen Stuhl oder eine tödliche Injektion als ‘Endlösung’ für schuldige Leben zu akzeptieren.“ (Die Autorin benutzt in ihrem ungarischsprachigen Text den deutschsprachigen Ausdruck „Endlösung“ – Anm. d. Red.)

In Reposzt, dem Meinungsblog einer Gruppe katholischer Priester, äußert Pfarrer Bálint Jakab seine Überzeugung, dass die christliche Kultur ein weit sichereres Gegenmittel gegen Gewaltverbrechen sei als die Angst im Sinne der Abschreckung. Wenn aber die Moral verkümmere und Gerechtigkeit ausschließlich durch das Gesetz gewährleistet werde, bliebe Angst die einzige Waffe, die eine Gesellschaft gegen Tötungsdelikte ins Feld führen könne. Deshalb sei die Frage der Todesstrafe ein regelmäßig wiederkehrendes Thema im öffentlichen Diskurs des Westens, glaubt der katholische Analyst.

Der ehemalige Richter Dr. Zoltán Nagy verkündete 1988 das letzte in Ungarn gesprochene Todesurteil. In einem emotionalen Interview mit Kisalföld erinnert er sich an jenen Moment, an dem er die Vollstreckung seines eigenen Urteils anordnete. Er war auch Zeuge des Todes jenes keine Reue zeigenden Mörders, wie er sich unter dem Galgen verzweifelt wehrte und schrie. „Ich sagte zu mir: Wir sollten das niemals wieder tun.“

Auf Mandiner erachtet es Gergely Szilvay als unglücklich, dass Viktor Orbán die Europäische Union derart unvermittelt mit einem so sensiblen Thema herausgefordert habe, „da wir doch gerade nicht als einer der guten Jungs in der internationalen Gemeinschaft gelten“. Gleichzeitig versteht der Autor nicht, warum die Liberalen – die doch weithin als Initiatoren von Dialog und kritischem Denken gelten – entsetzt seien, wenn eine von ihnen als endgültig abgeschlossen erachtete Diskussion wieder eröffnet werde. Der Autor erinnert an die Gefängnisrevolte des Jahres 1987 auf der Insel Elba. Damals seien die Behörden machtlos gegen die Anführer des Aufstands gewesen, die zu dreimal lebenslänglich verurteilt worden waren und durch ein viertes entsprechendes Urteil nichts zu verlieren gehabt hätten. Szilvay erinnert auch an den Fall eines ungarischen Mörders, der beim Versuch, aus seiner lebenslangen Haft auszubrechen, drei Gefängniswärter und einen Mitgefangenen umgebracht hatte. In derartig extremen Fällen würde Szilvay die Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe nicht ausschließen.

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