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Griechenlandkrise als EU-Integrationskrise aufgefasst

13. Jul. 2015

In ihren Wochenendanalysen – verfasst, bevor der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras der EU seine jüngsten Sparvorschläge unterbreitet hatte – erörtern die Kommentatoren das mögliche Resultat der Verhandlungen sowie die Frage, ob die europäische Antwort auf einen Bundesstaat oder doch eher auf eine lockerere Integration hinauslaufen sollte.

In Figyelő äußert Zoltán Gyévai die Ansicht, dass die Europäische Union nach einem Grexit nicht mehr dieselbe sein würde. Auch das Vertrauen in den Euro wäre zutiefst erschüttert. Die bestmögliche Lösung liefe darauf hinaus, Griechenland als Gegenleistung für ein glaubwürdiges Reformprogramm ein drittes Hilfspaket zu schnüren.
In der Wochenzeitschrift findet sich auch ein Gastkommentar aus der Feder von Zoltán Pogátsa. Der Wirtschaftswissenschaftler ist ein überzeugter Befürworter der von der griechischen Regierung repräsentierten Anti-Austeritätspolitik und behauptet, die Europäische Union habe Griechenland in den finanziellen Ruin getrieben. Tatsächlich habe die Europäische Zentralbank die Annahme griechischer Staatsanleihen als Sicherheit von Seiten griechischer Banken abgelehnt, während ähnliche Transaktionen dabei geholfen hätten, spanische und portugiesische Banken zu stützen. Somit habe die Europäische Union ein Mitgliedsland in den Bankrott gestürzt, weil es sich eine Anti-Spar-Regierung gewählt habe, empört sich Pogátsa.

In seinem Leitartikel für Demokrata legt András Bencsik nahe, dass die Auseinandersetzung um Griechenland das Scheitern des technokratischen Europaprojekts widerspiegele. Bei der ursprünglichen Idee sei es um eine Gemeinschaft gleicher und souveräner Staaten gegangen, doch seien diese hochtrabenden Ideale zu engstirnigen juristischen und monetären Formalien eingedampft worden. Dies mache es unmöglich, die Unterschiede in den nationalen Charakteren unter einen Hut zu bringen. Nicht Griechenland habe ein Problem, schreibt Bencsik, sondern die Idee von einem europäischen „Mini-Amerika“, die auf die Schaffung einer „hirnlosen durchmischten Zivilisation“ abziele.

Sollten die führenden europäischen Staatsmänner und -frauen auf die griechische Krise mit einer Vertiefung der europäischen Integration reagieren, schüfen sie möglicherweise zwar einen stärker integrierten, aber auch kleineren, aus einigen fortgeschrittenen Ländern bestehenden Zirkel. Diese Befürchtung äußert Zoltán Lakner in 168 Óra. Der Problemfall Griechenland spiegele einen tief sitzenden Mangel an Vertrauen zwischen den Partnern wider, der selbst die Folge von höchst unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Realitäten sei. Sollte eine größere Geschlossenheit augenscheinlich keine praktikable Lösungsmöglichkeit darstellen, stünden aber zugleich andere Alternativen nicht zur Verfügung, befürchtet Lakner, dass die gemeinsamen Regeln der Union immer weniger respektiert werden dürften. Ein solches Szenario werde das begünstigen, was der Autor als Ministerpräsident Orbáns „uneingeschränkte persönliche Machtambitionen“ bezeichnet. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Lakner beklagt, dass das griechische Referendum „von Orbán gewonnen wurde“.

Im Leitartikel des Wochenmagazins Magyar Narancs empfehlen die Autoren der Europäischen Union, sie solle eher die Finanzierung Griechenlands einstellen als sich erpressen zu lassen. Das liberale Magazin glaubt, dass der griechische Ministerpräsident zu täuschen versucht, wenn er eine stärkere Solidarität für sein Land einfordert. Zum Beweis verweist Magyar Narancs darauf, dass er während seiner Verhandlungen mit Brüssel den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu oft besucht habe. Die Europäische Union würde durch weitere Finanzhilfen Richtung Griechenland ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Und dieser Glaubwürdigkeitsverlust wäre viel gefährlicher für Europa als Griechenland aus der Eurozone aussteigen zu lassen, glauben die Autoren.

In Élet és Irodalom macht der Politologe Péter Krekó darauf aufmerksam, dass links- und rechtsradikale Euroskeptiker nicht die einzigen seien, die sich als Folge der Krise eine geschwächte Europäische Union wünschten. Der russische Präsident Putin unterhalte außergewöhnlich gute Beziehungen zum griechischen Ministerpräsidenten und drücke regelmäßig seine Bereitschaft aus, Griechenland im Bedarfsfall unter die Arme zu greifen. Obgleich sich Russland eine übertriebene Großzügigkeit gegenüber Griechenland kaum leisten könne, würde es der Kreml möglicherweise für lohnenswert erachten, etwas Geld zum Zwecke der Spaltung der Europäischen Union aufzuwenden. Bis jetzt habe die griechische Regierung stets gegen Russland wegen dessen militärischen Vorgehens in der Ukraine verhängte Sanktionen mitgetragen. Allerdings ist es für Krekó durchaus bezeichnend, dass die Syriza-Abgeordneten im Europaparlament systematisch Resolutionen zur Verurteilung des russischen Einsatzes von Gewalt in den internationalen Beziehungen – darunter auch die Annexion der Krim – abgelehnt hätten.

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