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Europa: Abschied von Merkels Migrationsvision

17. Oct. 2015

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sei erhebliche Risiken eingegangen, als sie zugunsten ihrer moralischen Vision den Pragmatismus ad acta legte. Diese Ansicht vertreten Kommentatoren der Rechten und Linken nach dem am Donnerstag abgehaltenen Flüchtlingsgipfel der Europäischen Union, bei dem der Türkei verschiedene Angebote gemacht wurden, falls sie die Migranten bei sich behalten sollte. Die Publizisten fragen, ob sich Merkel werde durchsetzen können, oder sie sich populistischen beziehungsweise pragmatischen Parteien werde geschlagen geben müssen, zumal die breite Öffentlichkeit die Einwanderung zunehmend ablehnt.

Der Philosoph János Boros zeigt sich in Magyar Nemzet gespannt, ob Bundeskanzlerin Merkel „Deutschland in ein moralisches Reich verwandeln möchte“. Während Merkel darauf bestehe, dass sowohl Europa als auch Deutschland eine moralische Verpflichtung hätten, den Migranten zu helfen, würden die Deutschen zusehends immer skeptischer, ob ihr Land so offenherzig dem Thema Einwanderung gegenüber sein könnte oder sollte, wie ihre Kanzlerin es nahelege. Laut Boros habe Merkel einen Fehler begangen, als sie behauptete, dass die Zukunft Europas von einer gemeinsamen Bewältigung der Migrationskrise abhänge. Dieser Gedanke erhöhe den Einsatz beim politischen Streit über die Migration und riskiere, dass beim Fehlen einer EU-weiten gemeinsamen Lösung Europa tatsächlich auseinanderfallen könnte, mahnt Boros.

Angela Merkel könnte scheitern, da die Deutschen das Thema Migration immer weniger aufgeschlossen betrachten würden, schreibt Róbert Friss in Népszava. Der linksorientierte Kolumnist glaubt, Bundeskanzlerin Merkel agiere wie eine Heilige statt wie eine Politikerin. Friss erklärt Merkels Haltung mit ihrer Herkunft als Tochter eines lutherischen Pfarrers, der vierzig Jahre hinter dem Eisernen Vorhang gelebt habe. Sie könne demnach „moralische Grundsätze nicht zugunsten eines migrationsfeindlichen, oft als Realismus titulierten Populismus aufgeben“. Der Autor fragt, ob die Kanzlerin der wachsenden Kritik seitens der Linken, der CSU sowie aus den Reihen der eigenen Partei standhalten könne. Sollte Merkel scheitern, dürften sich die Worte von Ministerpräsident Orbán bewahrheiten, wonach die Mainstream-Parteien demnächst durch radikalere und populistischere Bewegungen ersetzt werden könnten, fürchtet Friss. Geschähe dies, würde aus Europa ein „geschlossener, unmenschlich pragmatischer und egoistischer Ort, den man unmöglich lieben könnte“.

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