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Gedenken an 1956 im Zeichen tiefer Spaltungen

23. Oct. 2015

Tageszeitungen vergleichen die gegenwärtigen Risse im politisch-gesellschaftlichen Leben Ungarns mit der nur kurzzeitigen Einigkeit während des zwei Wochen andauernden Volksaufstandes vom Herbst 1956. Da die Tageszeitungen an Feiertagen nicht erscheinen, darunter auch am 23. Oktober, befassen sie sich bereits am Donnerstag in ihren Leitartikeln mit dem Thema.

In Népszava beklagt Róbert Friss, dass der Jahrestag seine Wirkung eingebüßt habe. Die Menschen hätten nicht das Gefühl, er gehöre ihnen, denn die rechtsgerichtete Regierung versuche ihn einer „Sakralisierung“ zu unterziehen. Die Regierung kümmere sich nicht um 56, da sie eine ambivalente Haltung zur Person Imre Nagy habe, so Friss. Der „Ministerpräsident der Revolution“ genieße zwar ihren Respekt als Märtyrer, aber nicht in seiner Funktion als kommunistische Führungspersönlichkeit.

Im Leitartikel auf der Titelseite von Népszabadság wird darauf verwiesen, dass wir eine Zeit erreichen, in der sämtliche Teilnehmer und Augenzeugen tot sein werden. Seit dem Augenblick der nationalen Einheit, des immer weiter sich entfernenden Herbstes, „als sich alle Ungarn ein wenig ineinander verliebt hatten“, sei viel Zeit vergangen, beklagt die linksliberale Tageszeitung.

György Pilhál schlägt einen ähnlich nostalgischen Ton an. In Magyar Nemzet schreibt er: 1956 hätten sich der kommunistische Ministerpräsident und der katholische Primas auf der gleichen Seite wiedergefunden, ganz so wie die einstigen Gendarmen und István Angyal Seite an Seite gekämpft hätten. (Die Gendarmen hatten bis zu 430.000 ungarische Juden zur Deportation in Nazi-Konzentrationslager zusammengetrieben; Isván Angyal war Befehlshaber eines Revolutionskommandos und Buchenwald-Überlebender – Anm. d. Red.) Abschließend fragt Pilhál: „Hätten wir jemals geglaubt, dass wir uns bis auf den heutigen Tag über das Erbe von 1956 streiten würden?“

In Magyar Idők stimmt der Historiker Károly Szerencsés zu, dass für eine kurze Zeit vor 59 Jahren eine überwältigende nationale Einheit rund um die Ideale von Freiheit und Unabhängigkeit geherrscht habe. Es sei ein läuternder Moment gewesen, gibt Szerencsés zu, lehnt jedoch die Idee ab, sich mit bestimmten Leuten aus Anlass des Jahrestages die Hand zu reichen – „den Denunzianten, den Enteignern der Revolution und den Verrätern“.

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