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Holocaustleugner verurteilt

11. Jan. 2016

Kommentatoren fragen sich aus aktuellem Anlass, ob die Bestrafung von Hassrede im Kampf gegen den Antisemitismus sinnvoll sein könne. Hintergrund der Debatte ist die Verurteilung eines Facebook-Kommentators zu einer hohen Geld- bzw. Gefängnisstrafe. Der Betreffende hatte den Holocaust geleugnet.

Das Stadtgericht Esztergom hat einen 38-jährigen Ungarn zur Zahlung von 800.000 Forint (gut 2.500 Euro) bzw. alternativ zu 400 Tagen Haft verurteilt, weil er auf Facebook den Holocaust geleugnet hatte. Der Mann hatte sich in einem Posting zu einem auf der Facebookseite von TEV (Tett és Védelem Alapítvány) veröffentlichten Artikel abfällig über Juden geäußert und den Begriff „Holohoax“ benutzt. TEV (auf Deutsch etwa mit „Aktions- und Schutzstiftung“ zu übersetzen) ist ein gemeinnütziges jüdisches Überwachungsgremium. Das Gericht urteilte nun, dass der Gebrauch des Wortes „Holohoax” auf eine Leugnung des Holocaust hinauslaufe, was gemäß des 2010 von der Fidesz-Regierung erlassenen Gesetzes gegen Hassrede strafbar ist. TEV dagegen äußerte die Ansicht, es wäre angemessener gewesen, den Täter (wie in anderen vergleichbaren Fällen) zum Besuch eines sich mit dem Thema Holocaust befassenden Museums oder zur Lektüre von einschlägigen Büchern zu verurteilen, anstatt eine Geldstrafe zu verhängen. Das Gericht wiederum verwies zur Begründung seines ungewöhnlich harten Strafmaßes auf das Vorstrafenregister des Täters.

Die Bestrafung der Holocaustleugnung sei kontraproduktiv, schreibt Anarki auf 444.hu. In einer Demokratie sollten sogar Leute mit dummen Ansichten das Recht haben, das zu sagen, was sie denken. Falls dumme Meinungen unterdrückt, statt öffentlich widerlegt würden, hätten andere Menschen mit ähnlich unvernünftigen Ideen weniger Möglichkeiten zur Korrektur ihrer Ansichten, argumentiert der liberale Blogger. Das Unterdrücken jeglicher Gedanken – darunter auch die kritikwürdigsten – ist eine Vorgehensweise, die Anarki an nationalsozialistische und kommunistische Zeiten erinnert. In einem Seitenhieb kritisiert der Autor TEV: Die Stiftung habe mit ihrem Gang vor Gericht unverantwortlich gehandelt. Zudem habe auch das Gericht mit der Verhängung einer so hohen Strafe einen Fehler begangen, ist Anarki überzeugt.

Auf Kettős Mérce bezeichnet András Jámbor die Äußerungen des Täters als abscheulich. Dessen ungeachtet aber habe er keine Gefängnisstrafe verdient. Eine Gefängnisstrafe würde aus dem Holocaustleugner lediglich einen Märtyrer machen, glaubt der linksorientierte Kommentator. Andererseits wirft Jámbor der Regierung vor, sie mache sich der Relativierung von während des Holocaust begangenen Verbrechen schuldig. Als ein Beispiel verweist er auf den Fall des Denkmals für Bálint Hóman, den antisemitischen Kulturminister der Zwischenkriegszeit. (Das Projekt, bei dem in der Stadt Székesfehérvár mehrere Gedenkveranstaltungen im Zusammenhang mit verschiedenen historischen Persönlichkeiten vorgesehen waren, war zunächst vom Justizministerium finanziell bezuschusst worden. Kurz darauf entbrannte eine hitzige öffentliche Debatte über die wissenschaftlichen Leistungen und politischen Irrtümer Hómans, woraufhin drei Minister ihr Missfallen über das Projekt zum Ausdruck brachten. Schließlich erklärte Regierungschef Orbán vor dem Parlament, er sei gegen die Errichtung von Denkmälern für Nazi-Kollaborateure. Daraufhin widerrief der Stadtrat von Székesferhérvár seine Zustimmung für das Vorhaben und zahlte den bereits überwiesenen Zuschuss an die Staatskasse zurück – vgl. BudaPost vom 12. Dezember 2015.) Vor diesem Hintergrund empfiehlt András Jámbor: Anstatt unverhältnismäßig hohe Gefängnisstrafen zu verhängen, sollte sich die Regierung lieber von antisemitischen Persönlichkeiten der Geschichte distanzieren.

In ihrem regelmäßigen Leitartikel auf der Titelseite räumt Népszabadság ein, mit Blick auf das Urteil gemischte Gefühle zu hegen. Antisemitische Beleidigungen seien „fehlgeleitet“, doch führe eine Gefängnisstrafe für den Täter kaum zu einem Weniger an nazistischen Ideen in Ungarn. Die Frage, ob man die freie Meinungsäußerung um der Bestrafung von Hassrede willen einschränken sollte, werde bereits seit Jahren diskutiert, doch existiere offenbar keine einfache Lösung dieses Dilemmas, notiert die linksorientierte Tageszeitung.

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