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Die politischen Implikationen des Quotenreferendums

12. Sep. 2016

Analysten quer durch das politische Spektrum befassen sich mit den möglichen Auswirkungen des am 2. Oktober stattfindenden Referendums über obligatorische Quoten bei der Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union auf die ungarische Innenpolitik sowie die Beziehungen zu Brüssel.

Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage des linken Parteien nahestehenden Meinungsforschungsinstituts Publicus sehen 63 Prozent der Bevölkerung keine Verpflichtung Ungarns, Flüchtlingen Hilfe zuteilwerden zu lassen. Obgleich sich zwei Drittel der Befragten gegen Einwanderung aussprachen, glauben auch 68 Prozent, dass die verpflichtende Flüchtlingsquote sowieso nicht eingeführt werde – ganz unabhängig vom ungarischen Referendum. 53 Prozent der an der Umfrage Beteiligten erklärten, sie würden sich am 2. Oktober in die Wahllokale begeben, weitere 23 Prozent hielten dies für wahrscheinlich. Ihre Absicht, sich gegen die Quote auszusprechen, bekundeten 67 Prozent – im Vergleich zu lediglich 15 Prozent Befürwortern. Immerhin sagten 60 Prozent der Umfrageteilnehmer, dass der Fidesz mit Hilfe des Referendums Ziele verfolge, die gar nichts mit der Einwanderungsproblematik zu tun hätten.

Das Referendum werde wichtige Nachwirkungen sowohl in der EU als auch in Ungarn zeitigen, schreibt Zoltán Kiszelly im Blog Mozgástér. Der regierungsfreundliche Politologe vermutet, dass die höchst wahrscheinlich überwältigend ausfallende Ablehnung des Quotensystems für Migranten der Orbán-Regierung starke Trumpfkarten für deren Auseinandersetzung mit der Union in die Hände spielen werde. Hinsichtlich der innenpolitischen Wirkungen geht Kiszelly davon aus, dass die Oppositionsparteien den Sieg für sich reklamieren würden, falls die Beteiligung am Referendum unter dem notwendigen Quorum von 50 Prozent liegen sollte. Würden alle Wähler gezählt, die sich als Anhänger der Opposition nicht an der Abstimmung beteiligt haben, würden die Linksparteien behaupten, dass die Mehrheit der Ungarn den Regierungsblick zum Thema Migration nicht teile. Darüber hinaus würde ein gescheitertes Referendum den Führungsanspruch der MSZP und der Demokratischen Koalition innerhalb der Linken unterstreichen, notiert Kiszelly. (Beide Hauptparteien des linken Spektrums hatten ihre Anhänger aufgefordert, dem Referendum fernzubleiben – Anm. d. Red.)

Auf die Ansichten Kiszellys eingehend, konstatiert Gábor Török, dass die Regierung ein hohes Risiko eingehe, indem sie das Referendum zur Frage von Leben und Tod stilisiere. Angesichts der aktuellen Umfragen betont Török, dass, obgleich die große Mehrheit der Wähler das Quotensystem für Migranten ablehnen werde, es keineswegs ausgemacht sei, dass die Beteiligung am Referendum den geforderten Mindestwert von 50 Prozent tatsächlich auch erreiche. Nach ihrer intensiven Kampagne dürfte es den Regierungsparteien schwerfallen, den Sieg für sich zu reklamieren, sollte das Referendum wegen einer zu geringen Beteiligung scheitern. Das gelte auch in dem Fall, dass die Mehrheit der angegebenen Wählerstimmen ihren Vorschlag unterstütze, sinniert Török.

Die wichtigsten Auswirkungen des Referendums hätten mit der EU zu tun, glaubt András Lánczi. Der konservative Analyst, der sich ebenfalls auf Mozgástér äußert, räumt ein, dass die Mobilisierung ihrer Anhänger wichtig für die regierenden Parteien sei und ihr Erfolg die Oppositionsparteien weiter schwächen könnte. Dessen ungeachtet geht Lánczi davon aus, dass die eigentliche Bedeutung des Referendums etwas mit seinen Auswirkungen auf die EU zu tun habe. Sollte nämlich die Regierung im Einklang mit den jüngsten Umfragen tatsächlich von 3,4 Millionen ungarischen Wählern unterstützt werden, werde es der Union schwerfallen, ohne eine Verletzung der Souveränität eines Mitgliedsstaates das verpflichtende Quotensystem durchzudrücken, konstatiert Lánczi.

Ministerpräsident Orbán wolle das Referendum vom 2. Oktober nutzen, um seine Macht auf EU-Ebene zu stärken, schreibt Albert Gazda in Magyar Nemzet. Der in der politischen Mitte beheimatete Kolumnist geht davon aus, dass sich das Referendum massiv auf die Innenpolitik auswirken werde: Im Falle des Erfolgs werde die Regierung einen Riesenschritt Richtung Wahlsieg im Jahr 2018 gehen. Diese innenpolitischen Erwägungen erklärten allerdings nicht die Vehemenz der von der Regierung geführten Kampagne, überlegt Gazda und schlussfolgert: Ministerpräsident Orbán hoffe, dass sein Sieg beim Referendum ihn zu einem noch wichtigeren Machtfaktor auf europäischer Ebene machen werde.

In Magyar Idők hebt Zsuzanna Farkas hervor, dass, sollte das ungarische Referendum von Erfolg gekrönt sein, die EU kaum ohne Verletzung der demokratischen Selbstbestimmung ihre verpflichtenden Umverteilungsquoten für Migranten werde durchsetzen können. Im Ergebnis werde die Union ihr migrationspolitisches System komplett überdenken müssen, glaubt die der Regierung nahestehende Kommentatorin. Mit Blick auf die einheimischen Auswirkungen erwartet Farkas, dass der Erfolg des Referendums der Linken einen vernichtenden Schlag versetzen werde – einer Linken übrigens, die behaupte, die Ungarn verweigerten der Regierung ihre Unterstützung.

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