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Orbán vor der EVP-Führung

2. May. 2017

Erste Kommentare zum Ergebnis eines Treffens von Spitzenpolitikern der Europäischen Volkspartei (EVP) mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán klingen entweder ratlos oder sie widersprechen einander. Im Raum steht die Frage, ob Orbán zu Zugeständnissen bereit gewesen sei – oder ob er seine Positionen gegen Kritik sowie ungeachtet des erheblichen auf ihn persönlich und seine Regierung ausgeübten Drucks habe verteidigen können.

Die Führungsriege der EVP traf am Samstag in Brüssel mit Ministerpräsident Viktor Orbán zusammen. Auf der Tagesordnung stand die von der EU-Kommission gegenüber der Regierung in Budapest geäußerte Kritik, darunter vor allem ihre – allgemein vermutete – Absicht, die Central European University schließen zu wollen. Doch auch die in Ungarn stattfindende massive öffentliche Kampagne gegen die Kommission („Stoppen wir Brüssel!“) sowie deren Einwanderungspolitik kamen zur Sprache. Laut EVP-Quellen, darunter Präsident Joseph Daul und Sprecher Siegfried Mureşan, kündigte Orbán dabei eine Überprüfung seiner politischen Linie an. Er selbst hingegen verkündete praktisch das Gegenteil: Demnach handele es sich bei der Frage der CEU um eine juristische Angelegenheit, die mit der EU-Kommission zu erörtern sei. Im Übrigen werde Ungarn es nicht hinnehmen, wenn irgendjemand das Land unter Druck setze. Von offizieller Regierungsseite hieß es zum Ergebnis des Treffens: Der Ministerpräsident habe die ungarische Haltung verteidigt.

Auf der Eurologus-Seite des Internetportals Index wird die Zusammenkunft zwischen dem Ministerpräsidenten und der EVP-Führungsspitze als „ein Dialog der Tauben“ beschrieben, denn beide Seiten hätten einander widersprechende Stellungnahmen darüber abgegeben, worauf man sich geeinigt habe. Index hält die Feststellung für voreilig, Orbán sei vor dem in der CEU-Frage ausgeübten Druck eingeknickt.

Das linksorientierte Nachrichtenportal 24.hu beschreibt das Verhalten Orbáns als ein besonders eindrückliches Beispiel für seinen gewöhnlich aufgeführten „Pfauentanz“. (Dieser Ausdruck stammt angeblich von Orbán selbst zur Beschreibung der von ihm 2012 in der Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission zum Streitthema Mediengesetz verfolgten diplomatischen Taktik – Anm. d. Red.)

In einem auf die Europaparlamentsdebatte zur „Lage in Ungarn“ eingehenden Kommentar stellt Népszava-Chefredakteur Péter Németh die Vermutung an, dass der Ministerpräsident gleichzeitig sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Europäischen Union bleiben möchte. Gegenwärtig sprächen sich mindestens 70 Prozent der Ungarn für die EU-Mitgliedschaft aus, notiert der Autor und empfindet es angesichts dieser Tatsache als irritierend, dass fast die Hälfte des Wahlvolkes die Regierung nach wie vor unterstützt.

Ebenfalls in dieser linken Tageszeitung meldet sich der entschiedene Regierungskritiker Rudolf Ungváry zu Wort. Dabei wirft er der Europäischen Union einen Verrat an den ungarischen Demokraten vor, da sie sich für eine „Beschwichtigungsstrategie“ im Umgang mit Ministerpräsident Orbán entschieden habe. Der Autor vergleicht dieses Verhalten mit der von Frankreich und Großbritannien gegenüber Hitler verfolgten Strategie, der sich im Ergebnis zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges ermutigt gefühlt habe. Ungváry kritisiert sogar den extrem regierungskritischen Aktivisten Márton Gulyás, der seine friedvollen Absichten mit dem Bekenntnis zur Schau gestellt habe, er würde den Ministerpräsidenten mit seinem eigenen Körper vor einem möglichen Mörder schützen.

Dieses Mal gründe die gegen die ungarische Regierung vorgetragene Kritik auf sachlicheren Informationen als gewöhnlich üblich, schreibt István Dévényi auf dem Internetportal von Heti Válasz. Zudem sei sie erheblich allumfassender, da sich ihr sogar führende Christdemokraten anschlössen. Die wichtigste Lehre, die der Autor aus der ganzen Angelegenheit zieht, lautet jedoch: Ungarn könne von der Europäischen Union kaum eine Lösung seiner innenpolitischen Probleme erwarten.

In Magyar Idők widerspricht János Csontos dieser These und bezieht sich dabei auf das Exempel einer Wutrede aus dem Munde des belgischen Spitzen-Liberalen Guy Verhofstadt. (Der Chef der liberalen ALDE-Fraktion hatte im Rahmen der Debatte des Europaparlaments zur Lage in Ungarn am vergangenen Mittwoch sogar von der Möglichkeit gesprochen, dass die Bücher hervorragender ungarischer Schriftsteller eines Tages auf den Straßen Budapests verbrannt werden könnten – Anm. d. Red.) Csontos kritisiert auch den stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden Frans Timmermans, der die CEU als „ein Kronjuwel“ bezeichnet hatte. Würden wir ihn ernst nehmen, so Csontos, müssten wir wohl davon ausgehen, dass es sich bei (CEU-Gründer) George Soros um den König von Europa handele.

In einem bitter sarkastischen Kommentar für Magyar Hírlap macht sich István Lovas über den Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, lustig. (Der Luxemburger hatte George Soros vergangene Woche empfangen und ihn bei der Begrüßung mit einer Umarmung und Küssen auf beide Wangen bedacht – Anm. d. Red.) Dazu Lovas: „Man muss es Soros hoch anrechnen, dass er diese Küsse lediglich toleriert und nicht auch noch erwidert hat.“ Dem Autor geht es aber hauptsächlich um etwas anderes, denn abgesehen von dieser Begrüßungsszene sei absolut nichts von dem Gespräch der beiden so auf eine offene Gesellschaft erpichten Männer hinter verschlossenen Türen nach außen gedrungen. Lovas stellt sich deswegen einen Meinungsaustausch vor, bei dem George Soros verkündet, dass seine Stiftungen mit der Vorbereitung neuer „Maidans” beschäftigt seien. (Damit spielt Lovas auf die gewalttätigen Proteste auf dem zentralen Platz der ukrainischen Hauptstadt Kiew an, in deren Folge 2014 der pro-russische Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt worden war – Anm. d. Red.)

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