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Wahlkampf unter Volldampf

26. Mar. 2018

Zwei Wochen vor dem Wahltermin werden in Wochenmagazinen und Wochenendausgaben von Tageszeitungen Korruptionsskandale unter die Lupe genommen sowie die Frage diskutiert, was wohl nach dem 8. April geschehen könnte.

Die Parlamentswahl am 8. April dürfte darüber entscheiden, ob Ungarn „regierungsnahen Oligarchen“ zum Opfer fallen werde, orakelt Zoltán Lakner im Wochenmagazin 168 Óra. Nach Einschätzung des linken Politikwissenschaftlers hat das Kabinett Orbán seine Macht genutzt, um sich durch systemische Korruption zu bereichern. Und so richte die Regierung ihren Wahlkampf ganz auf das Thema Migration aus, um die Aufmerksamkeit von Korruptionsskandalen abzulenken. Abschließend prognostiziert Lakner, dass der Fidesz im Falle eines Wahlsieges seine wirtschaftliche Macht weiter ausbauen und das ganze Land letztendlich in Privatbesitz von Fidesz-Vertretern übergehen werde.

Auch Ádám Tompos von der Tageszeitung Magyar Nemzet wirft der Regierung Korruption in großem Stil vor. Der konservative Regierungskritiker findet es beklagenswert, dass die Fidesz-Führung jegliche Korruptionsvorwürfe als inhaltslose Wahlkampfrhetorik abtue, anstatt sie ernst zu nehmen. All dies steigere den im Lande herrschenden Zynismus. Tompos fragt sich, ob sich die zunehmend enttäuschten Wähler total von der Politik abwenden oder sich bei den Wahlen im April am Fidesz rächen werden.

Ottó Gajdics weist Korruptionsvorwürfe gegen Fidesz-Politiker als die für den Wahlkampf übliche Schlammschlacht zurück. Der regierungsfreundliche Publizist von Magyar Idők erinnert daran, dass die Opposition in den Jahren 2014 und 2010 ähnliche Vorwürfe erhoben habe, um den Fidesz zu schwächen. Folglich sollte den aktuellen Bezichtigungen keinerlei Glauben geschenkt werden. Gajdics vermutet den ehemaligen Fidesz-Schatzmeister (und aktuellen Besitzer von Magyar Nemzet) Lajos Simicska als Strippenzieher und Regisseur der gegen die Regierung gerichteten Kampagne.

András Bencsik fordert die Rechte auf, sich fest hinter den Fidesz zu stellen. Der Chefredakteur des regierungsnahen Wochenmagazins Magyar Demokrata äußert die Hoffnung, dass sich die Fidesz-Anhänger nicht durch die von Bencsik als grundlos angesehenen Korruptionsvorwürfe gegen Regierungspolitiker verunsichern ließen. Er pflichtet Ministerpräsident Viktor Orbán bei, der seine Anhänger zur Gelassenheit gemahnt und sie aufgefordert hatte, sich erst nach dem Sieg des Fidesz im April an den Kritikern „zu rächen“ (vgl. BudaPost vom 21. März).

In Élet és Irodalom werfen György Gábor und Kata Vörös Ministerpräsident Orbán eine Verunglimpfung seiner Gegner vor. Orbán greife auf antidemokratische und sogar antisemitische Sprachbilder zurück, um zu suggerieren, dass es sich bei seinen Herausforderern und Kritikern um radikal böse „andere“ und keineswegs einfach nur um politische Gegner handele. So ziehen die beiden liberalen Kommentatoren eine Parallele zwischen der Anti-Soros-Kampagne der Regierungspartei und den in der Vorkriegszeit von den Nazis aufgegriffenen Themen.

Ein weiterer Magyar Idők-Publizist geht davon aus, dass Ungarn einen starken Führer benötige. Die Opposition vergleiche Ministerpräsident Orbán mit Diktatoren, darunter auch Hitler, um nahezulegen, dass Ungarn mit einem schwachen Mann an der Spitze besser dran wäre, echauffiert sich Bálint Botond. All dies deute darauf hin, dass die Opposition nicht einmal den Versuch unternehmen würde, die ungarischen Interessen gegen die EU zu verteidigen, die unter anderem Ungarn Migranten aufzwingen wolle.

Der Chefredakteur des Wochenmagazins Heti Válasz, Gábor Borókai, warnt vor allzu hitzköpfigen Wahlkampfsprüchen. Der konservative Kolumnist hält sowohl die Andeutung von MSZP-Párbeszéd-Spitzenkandidat Gergely Karácsony, er werde das Grundgesetz ignorieren, als auch die Bemerkung Viktor Orbáns, derzufolge er nach den Wahlen „abrechnen“ werde, für Brandreden. Laut Borkókai schwächen solche Aussagen die Rechtsstaatlichkeit und radikalisieren den öffentlichen Diskurs in Ungarn zusätzlich. Würde man sie für bare Münze nehmen und nicht nur für Wahlkampfrhetorik halten, so wären diese Versprechen in der Tat furchteinflößend, meint Borókai.

In Heti Világgazdaság bezeichnet es László Seres als betrüblich, dass weder die Opposition noch die Regierung über eine glaubwürdige Vision oder ein überzeugendes Programm verfügen würden. Die vereinfachenden und demagogischen Botschaften des Fidesz bezögen sich ausschließlich auf das Thema Migration und die Person George Soros. Die Regierungspartei biete keine Anhaltspunkte dafür, wie sie die Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem verbessern und ungarische Unternehmer fördern wolle, stellt der libertäre Kolumnist fest. Auch die Oppositionsparteien hätten kein glaubwürdiges Programm – ihre einzige Botschaft laute: „Wir wollen den Fidesz ersetzen.“

In Magyar Demokrata bezeichnet Péter Farkas Zárug den Streit zwischen den Oppositionsparteien über eine Kooperation bei den Parlamentswahlen vom 8. April als einen Witz. Der regierungsfreundliche Kommentator vermutet, dass die Oppositionsparteien sowohl bei den Linken als auch bei den Rechten ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen würden, denn sie stellten alle ihre bisherigen ideologischen Werte infrage und versuchten, sich gegen den Fidesz zusammenzuschließen. Zwar debattiere die Opposition heftig über die Bedingungen einer Zusammenarbeit, verschwende aber keinen einzigen Gedanken darauf, wie sie regieren würde. Zárug äußert die Hoffnung auf ein Scheitern oppositioneller Einigungsbemühungen. Falls es ihnen gelingen sollte, die Hälfte der Parlamentsmandate zu erringen, werde Ungarn vor einem totalen politischen Chaos stehen, warnt Zárug.

Árpád W. Tóta fordert in einem wütenden Artikel die Oppositionsparteien auf, ihren narzisstischen Kampf zu beenden und sich zwecks Sieg über den Fidesz zu verbünden. Der liberale Kolumnist vom Wochenmagazin Heti Világgazdaság sieht die Zukunft Ungarns in Gefahr. Demzufolge wäre es absolut notwendig, dass die Opposition – unter Beteiligung von Jobbik – ihre auf die Wahlen bezogenen Aktivitäten koordiniere. Da keine der Oppositionsparteien die Chance auf eine parlamentarische Mehrheit hat, sollten sie nach Ansicht Tótas ihre internen Streitigkeiten einstellen und die ansonsten enorm tiefen ideologischen Gräben überwinden.

Gegen eine offene Zusammenarbeit der Linken mit Jobbik wenden sich hingegen die Leitartikler von Magyar Narancs. Nach Ansicht des liberalen Wochenmagazins kann und sollte die Linke in Großstädten nicht bei Jobbik anklopfen. Die Chancen der Linken würden steigen, falls Jobbik gegen den Fidesz im selben Wahlkreis antreten und so die Rechte in den Städten geteilt würde. Auf dem Land wiederum könnte eine lockere und informelle strategische Abstimmung zwischen Jobbik und der Linken notwendig sein, um Fidesz-Kandidaten zu besiegen, räumt Magyar Narancs ein. Allerdings sollte die Linke nicht vorschlagen, dass sie mit Jobbik über solche gelegentlichen strategischen Deals hinaus kooperieren wolle, warnen die Autoren.

Die kunterbunte Oppositionstruppe werde ausschließlich von ihrem Hass auf Ministerpräsident Orbán zusammengehalten, schreibt Dóra Nagy in Magyar Hírlap. Selbst wenn sie bei den Wahlen kooperieren könnten, sei völlig unklar, ob und wie sie das Land regieren würden, stellt die regierungsfreundliche Kolumnistin fest. Die tiefen ideologischen Gräben zwischen den Oppositionsparteien machten es unwahrscheinlich, dass sie sich über grundlegende politische Fragen verständigen könnten.

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