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Wie kommt die Linke wieder auf die Beine?

30. Apr. 2018

Zwei Wochen nach den Parlamentswahlen versuchen sich Kommentatoren aller Couleur einen Reim darauf zu machen, ob es die Oppositionsparteien jemals mit der Regierung werden aufnehmen können oder eine neue gemeinsame Kraft sie abzulösen vermag.

Im Wochenmagazin 168 Óra konstatiert Zoltán Lakner, dass die linke Opposition nach ihrer dritten vernichtenden Wahlniederlage in Folge einer kompletten Umgestaltung bedarf, wolle sie sich einmal wieder in eine glaubwürdige Alternative zu den Regierenden entwickeln. Als Erstes gelte es zu entscheiden, ob sie überhaupt ins Parlament einziehen wolle. Hier habe sie in den vergangenen acht Jahren keinerlei Möglichkeit auf Beeinflussung von Gesetzgebungsverfahren oder Regierungspolitik gehabt. Zwar hätten ihre Wähler das Recht auf eine parlamentarische Vertretung, doch sei deren Effektivität gering. Nach Ansicht Lakners sollte die Opposition eine Grenze ziehen und sie nicht überschreiten, wenn es darum gehe, „autokratisches Regieren“ durch Taubheit zu unterstützen. Der Analyst lässt jedoch offen, was genau er mit dieser Linie meint beziehungsweise ob er der Linken auf jeden Fall empfehlen würde, sich der parlamentarischen Arbeit zu enthalten. Freilich warnt Lakner die Opposition davor, sich dem Parlament gegenüber zu isolieren. Vielmehr sollte sie parlamentarische Präsenz mit Protesten auf der Straße verbinden. In seiner Schlussbemerkung fordert Lakner die Linke zu einer Selbstreformation auf, „falls sie ihre Daseinsberechtigung nicht verlieren will“.

Auf Mérce widerspricht András Jámbor der in Oppositionskreisen weit verbreiteten Ansicht, wonach sich die Linke – die zwölf der 18 Budapester Wahlkreise gewonnen hatte – nunmehr „den Zug besteigen“ und das Land erobern müsse. Selbst in Budapest, erklärt der Publizist, sei der Fidesz bei den Wahlen vom 8. April stärker gewesen als die Linke insgesamt. Linke Parteien hätten zwar ihre Wahlkreise verteidigt, seien aber nicht stärker geworden. Der gegenüber 2014 zu verzeichnende Verlust von acht Fidesz-Wahlkreisen ginge auf das Konto von Jobbik sowie einen Stimmenzuwachs für kleinere Parteien. Jobbik habe sich zur zweitstärksten Partei in den Arbeitervierteln der Hauptstadt gemausert. Deshalb schlägt Jámbor vor, „dass die Linke nicht den Zug, sondern die Straßenbahn nehmen“ und Budapest zurückerobern sollte. Er stimmt mit verschiedenen linken Analysten überein, wonach der Fidesz ohne starke Opposition auf dem Lande nicht zu schlagen sei. Dennoch müsse die Linke zuerst um die Hauptstadt kämpfen.

Für die Philosophin Ágnes Heller haben die beiden jüngsten regierungskritischen Kundgebungen in Budapest die Botschaft ausgesendet, dass eine ganz neue Oppositionspartei nötig wäre, um dem Fidesz in Zukunft entgegentreten zu können. In Élet és Irodalom schreibt Heller, sie habe bei der Demo des vergangenen Wochenendes mit Péter Márki-Zay einen „Gründervater“ entdeckt. (Márki-Zay hatte vor Monaten mit den Stimmen der gemeinsamen Opposition – angefangen bei Jobbik bis hin zur MSZP – einen Überraschungssieg über den Fidesz-Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl in Hódmezővásárhely errungen. Zum Abschluss der Protestkundgebung vom 21. April in Budapest hatte Márki-Zay die Ansicht vertreten, dass die Oppositionsparteien das Vertrauen ihrer Wähler verloren hätten und der Fidesz nur besiegt werden könne, wenn sie in allen Wahlkreisen mit nur einem einzigen Oppositionskandidaten antreten würden – Anm. d. Red.)
Heller, die sich vor den Wahlen für ein formelles Bündnis von Jobbik und Linken stark gemacht hatte, schlägt nunmehr vor, dass die Opposition zu einer einzigen Kraft verschmelzen sollte, die sie Vereinigte Ungarische Oppositionspartei nennt. Sie verweist darauf, dass Massendemonstrationen, obwohl sie ihrer Ansicht nach den „Volkswillen“ zum Ausdruck brächten, keinen Regimewechsel bewirken könnten. Ein solcher politischer Vorgang benötige eine politische Formation, allerdings hätten sich die derzeitigen Oppositionsparteien als zu „impotent“ für diesen Job erwiesen.

Dániel Deák kommentiert Figyelő den Artikel von Ágnes Heller und nennt ihr Vorhaben „Hellers neuen Masterplan“, nachdem sie mit ihrem früheren Vorschlag, die Linke mit Jobbik zu vereinen, gescheitert sei. Der Autor bezeichnet es als absurd, in Márki-Zay den Gründervater einer neuen vereinten Opposition zu sehen, denn die Idee, diese unterschiedlichen Kräfte zu vereinen, sei im April aufgrund ihrer Unvereinbarkeit gescheitert. Wenn die Opposition den von Heller vorgezeichneten Weg einschlagen wolle, sei ihre Niederlage im Jahr 2022 garantiert, behauptet Deák.

Auch Zsolt Ungváry vom regierungsnahen Wochenmagazin Demokrata hält den Vorschlag, die Linke mit Jobbik zu vereinen, für absurd. Er erinnert daran, dass Gergely Karácsony, der linke Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Jobbik höchst persönlich als „Teufel“ bezeichnet hatte. (Der Begriff fiel im Zusammenhang mit der Diskussion um die Frage, ob örtliche Verabredungen mit Jobbik gerechtfertigt werden könnten, weil sogar ein Bündnis mit dem Teufel im Interesse des Wahlsieges akzeptabel wäre – Anm. d. Red.)
Dieser Satz impliziere logischerweise, dass der Fidesz schlimmer als der Teufel wäre, erklärt Ungváry. Das sei offensichtlich absurd. Außerdem habe dieser Satz die Botschaft vermittelt, dass die Linke alles tun würde, um die Macht zu ergreifen. Demnach sei es kein Wunder, dass die Wähler diese Botschaft nicht gerade verlockend gefunden hätten.

In Magyar Idők hält auch der Politikwissenschaftler Tamás Fricz diese Strategien für vergebliche Liebesmüh, da ein Bündnis zwischen Parteien, die niemals gemeinsam regieren könnten, selbstzerstörerisch wäre. In Ungarn ist laut Fricz ein stabiles System mit einer dominanten Partei entstanden, wobei der Fidesz (und dessen kleiner Verbündeter, die Christdemokratische Partei) zum dritten Mal in Folge zwei Drittel der Mandate im Parlament gewonnen habe. Jobbik werde eine „mittelgroße Partei“ bleiben, während auf der linken Seite die DK und die MSZP zum Untergang verurteilt seien, da sie eine ältere Wählerschaft mit nostalgischen Gefühlen über den Kommunismus vertreten würden. Neue Parteien wie LMP und Momentum können ihren Platz einnehmen, aber nur, wenn sie ein Bündnis mit DK und MSZP verweigern würden. Andernfalls würden auch sie „den Bach runtergehen“, so Fricz abschließend.

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