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Halbjahresbilanz der Regierung

15. Dec. 2014

Analysten des linken Spektrums kommentieren die jüngsten Meinungsumfragen und spekulieren, dass der Niedergang der Regierungspartei unaufhaltsam sei. Liberale und gemäßigte Kommentatoren halten dies wiederum für Wunschdenken. Konservative Kolumnisten ihrerseits fordern mehr Bedacht und Sensibilität beim Regieren.

Laut den letzten beiden Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute Medián und Tárki hat der Fidesz seit den Kommunalwahlen vom Oktober 800.000 bis 900.000 seiner Sympathisanten verloren. Jedoch ist er mit einer Zustimmung von 25 bzw. 26 Prozent unter allen Befragten (und 45 Prozent bei den entschiedenen Wählern) nach wie vor die mit Abstand populärste Partei, gefolgt von der MSZP (12 und 18 Prozent) sowie Jobbik (14 bzw. 15 Prozent). Die Zahlen legen nahe, dass der Fidesz zwar an Unterstützung einbüßt, die Oppositionsparteien dadurch aber nicht beliebter geworden sind. Laut einer Umfrage ist auch die Popularität von Ministerpräsident Orbán um 16 Prozentpunkte gesunken.

In Népszabadság reflektiert Ákos Tóth die Gründe des Fidesz-Niedergangs. Für den Analysten aus dem linken Spektrum liegen die Hauptgründe für die Unzufriedenheit der Wähler mit der Orbán-Regierung in der – wie er es nennt – zunehmend prorussischen Strategie der Regierung, den sich vertiefenden parteiinternen Rissen sowie einigen neuen politischen Vorhaben (darunter das Schließen von Geschäften an Sonntagen sowie Drogentests für Kinder). Tóth spekuliert, dass der Fidesz seine Anziehungskraft verloren habe und sein Niedergang nicht aufgehalten werden könne.

In dem Versuch, an Popularität zuzulegen und die eigene Position innerhalb seiner Partei zu stärken, werde Ministerpräsident Orbán mit noch umstritteneren und unerwarteteren Vorschlägen aufwarten, sagt Véleményvezér voraus. Der gemäßigte Blogger geht noch weiter, wenn er davon ausgeht, dass Ministerpräsident Orbán sogar die – wie Véleményvezér es ausdrückt – „absolute Macht innerhalb seiner Partei“ verlieren dürfte – es sei denn, er könne sein Image als eine Führungspersönlichkeit restaurieren, die die uneingeschränkte Unterstützung der Wähler hinter sich wisse. Um das zu erreichen, werde der Ministerpräsident Risiken eingehen müssen und die Öffentlichkeit mit unerwarteten Vorschlägen schockieren, ähnlich wie bei der Senkung von Tarifen für Versorgungsdienstleistungen, die der Beliebtheit der Regierung 2012 wieder auf die Beine geholfen hatten. Für Véleményvezér sollen das geplante Sonntagsöffnungsverbot für Geschäfte sowie die Drogentests für Kinder genau dieses Ziel erreichen. Sollten die Vorhaben scheitern, werde das Ministerpräsident Orbán keineswegs entmutigen. Vielmehr werde er andere Vorschläge improvisieren, um seine Führung zu festigen, sagt der Blogger voraus.

Der Niedergang des Fidesz sei nicht aufzuhalten, schreibt László Navra auf Kettős Mérce. Nach Ansicht des linken Bloggers wird der Fidesz mittlerweile als hochgradig korrupte Partei erachtet, die in keiner Weise ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen könne. Der Korruption bezichtigte Fidesz-Politiker könnten nunmehr kaum glaubwürdig behaupten, sie seien eine Alternative zur von ihnen selbst als eine Bande von Dieben bezeichneten Linken. Trotz des laut Navra unvermeidlichen Fidesz-Niedergangs sei unklar, welche andere Alternative als eine Koalition aus Fidesz und Jobbik wohl existieren könnte.

Für den Fidesz ist die Endzeit angebrochen. Das vermutet Albert Gazda auf Cink. Der liberale Analyst hält es für unvermeidlich, dass der Fidesz früher oder später abstürzen werde. Mit zunehmender Unzufriedenheit werde die Partei mit immer kontroverseren Improvisationen aufwarten, meint Gazda mit Blick auf das Kabinettsvorhaben, ein neues Mautsystem für Autobahnen einzuführen und große Handelsketten an Sonntagen geschlossen zu halten. Gazda glaubt, Ministerpräsident Orbán habe sich mit zutiefst opportunistischen Personen umgeben, die ihm bedingungslos ergeben, gleichzeitig aber auch unfähig seien, mit brauchbaren Neuerungen und Ideen aufzuwarten. So sei es unwahrscheinlich, dass der Niedergang der Regierung aufgehalten werden könne. Auch wenn die Oppositionsparteien so unattraktiv und unbeliebt seien wie vor dem Niedergang des Fidesz, „könnte eine kompetente Opposition entstehen“, so Gazda.

Die Regierung habe das Alltagsleben der Wähler beeinträchtigende Maßnahmen vorgeschlagen, erklärt Róbert Friss in Népszava den Fall des Fidesz. Die Ungarn wollten zuerst und vor allem Stabilität. Und so seien jedwede Veränderungen, die Einfluss auf ihre täglichen Gewohnheiten hätten, nicht willkommen, glaubt der Autor.

In derselben Tageszeitung sinniert Chefredakteur Péter Németh über die Frage, ob Ministerpräsident Orbán seine oft beneideten politischen Instinkte und die Fähigkeit verloren habe, die Vorlieben der Wähler zu erahnen. Der Kolumnist aus dem linken Spektrum fragt sich, ob die Regierung die Wähler durch die jüngsten höchst umstrittenen Vorschläge wohl provozieren wolle. Abschließend spekuliert Németh, dass künftig die Führung von Ministerpräsident Orbán innerhalb des Fidesz selbst infrage gestellt werden könnte, falls seine Parteifreunde einsehen sollten, dass er ein für allemal seine Anziehungskraft auf die Ungarn verloren habe.

Bei der Behauptung, der Fidesz sei gescheitert, handele es sich um eine Übertreibung epischen Ausmaßes, meint Márton Bede auf 444. Der liberale Kommentator warnt vor weit hergeholten Schlussfolgerungen, die auf Meinungsumfragen mehr als drei Jahre vor den nächsten Wahlen basierten. Bede hält es für eigentümlich, dass eine in ihrer Macht unangefochtene Partei derartig schwere Fehler begehe und durch höchst irritierende Vorschläge wie die Internetsteuer, ein neues Autobahn-Mautsystem und einen heraufbeschworenen diplomatischen Konflikt mit den USA so viele ihrer Anhänger in einer so kurzen Zeit verunsichere. Nichtsdestotrotz habe der Fidesz immer noch genug Unterstützer, um morgen eine Wahl problemlos gewinnen zu können, fügt Bede hinzu. Da aber die Linksparteien kaum als mögliche Alternative zur gegenwärtigen Regierung in Betracht kämen, könne die Fidesz-Herrschaft nur durch einen zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb des Fidesz ausbrechenden und die Partei sprengenden Interessenkrieg gefährdet werden, resümiert Bede.

Die Schonfrist sei abgelaufen, hält Ákos Balogh von Mandiner fest. Nach dem Gewinn von drei aufeinanderfolgenden Wahlen 2014 hätten viele gedacht, dass Fidesz-Unterstützern alles erlaubt sei. Dieser Glaube sei nun widerlegt worden und die Rhetorik, die bislang funktioniert habe, könne Fidesz-Anhänger nicht mehr länger mobilisieren, vermutet der gemäßigte Blogger. Der schwindende Rückhalt sollte als Warnschuss Richtung Fidesz verstanden werden – ungeachtet der Tatsache, dass in naher Zukunft keine Wahlen stattfinden würden. Falls der Fidesz unbeliebt werden sollte, werde die Opposition dessen Legitimierung herausfordern, genau wie es der Fidesz 2006 getan habe, als nach der berühmten „Lügenrede“ des damaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány die Sympathien für die Koalition aus Sozialisten und Liberalen ins Bodenlose gefallen waren.

Der Fidesz sollte sich den neuen Umständen anpassen und sowohl in seiner Rhetorik als auch in der Regierungsarbeit mehr Vorsicht walten lassen, empfiehlt János Zila in Magyar Hírlap. Nach dem Gewinn von drei Wahlen 2014 könne der Fidesz nicht länger hoffen, seine Anhänger damit zu mobilisieren, indem man der einstigen Linken Korruption vorwerfe, auch wenn die Linke – wie der konservative Politologe glaubt – keineswegs weniger korrupt geworden sei. Fidesz habe neue Herausforderer, spekuliert Zila – in erster Linie den Fernsehsender RTL Klub, der aus Rache für die Werbesteuer (vgl. BudaPost vom 23. Juni) die Wähler davon überzeugen wolle, der Fidesz sei eine hochgradig korrupte Partei. Um den Niedergang zu stoppen, müsse der Fidesz beim Regieren mehr Vorsicht walten lassen und seine politischen Vorhaben verständlicher kommunizieren.

Trotz sinkender Fidesz-Popularität habe die Linke ihre Unterstützung nicht ausweiten können, hebt Dávid Megyeri in Magyar Nemzet hervor. Korruptionsvorwürfe hätten der Linken keinen neuerlichen Rückhalt beschert, wüssten die Wähler doch, dass sich die Linke nur solange für die Armut interessiere, wie sie sich in der Opposition befinde, notiert der konservative Kommentator. Die Wähler würden sich noch gut an die verschiedenen Korruptionsskandale der vormaligen sozialistisch-liberalen Regierung erinnern, was die Linke nicht als glaubhafte Alternative zur gegenwärtigen Regierung erscheinen lasse. Der Rückhalt für den Fidesz lasse nicht in einem riesigen Umfang nach. Die Sympathiewerte für die Partei hätten 2012 sogar noch unter dem gegenwärtigen Wert gelegen, hält Megyeri fest. Nichtsdestotrotz glaubt der Autor, dass Fidesz-Politiker bei ihren öffentlichen Auftritten mehr Sensibilität an den Tag legen und davon absehen sollten, mit ihrem Wohlstand anzugeben.

Die Regierung sollte es vermeiden, neue Gesetze vorzuschlagen, ohne vorher die Öffentlichkeit zu konsultieren, schlägt Zsuzsanna Körmendy in der selben Tageszeitung vor. Sie erwähnt die zurückgezogene Internetsteuer, die vorgeschlagene Überarbeitung des Autobahn-Mautsystems und das Verbot, lebendigen Fisch zu verkaufen als Beispiele von sinnfreien und hastig eingebrachten Maßnahmen, die Wähler leicht verärgern könnten. Anstatt hastig erarbeitete Vorschläge zu unterbreiten, sollte die Regierung laut Körmendy zuerst die Meinung der Ungarn einholen, anstatt erst nach Massendemonstrationen auf deren Bedenken zu reagieren.

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