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Bilanz nach fünf Jahren Orbán-Regierung

1. Jun. 2015

Linke Kommentatoren können in der Beurteilung des Ministerpräsidenten zu seiner fünfjährigen Amtszeit nichts Neues ausfindig machen. Ein rechtsorientierter Analyst dagegen konstatiert, dass Viktor Orbán nach den zurückliegenden fünf Jahren voller Konflikte und Auseinandersetzungen ein neues Zeitalter der Mäßigung verkündet habe.

In Népszava macht sich György Sebes über Äußerungen des Ministerpräsidenten lustig, wonach das Schlüsselwort seiner künftigen Politik „Aufmerksamkeit“ statt „Macht“ sein werde. Und er fragt sich und die Leser, ob es wohl ein Ausdruck von Macht oder der Aufmerksamkeit gewesen sei, dass die Veranstalter in dem von Orbán für seine Rede genutzten Versammlungsraum nicht genug Platz hätten finden können, um Korrespondenten einiger unfreundlicher Medien – darunter Népszava – unterzubringen. Für Sebes hat sich die Analyse des Regierungschefs an der Oberfläche bewegt, denn er habe mit Blick auf die fünf Regierungsjahre lediglich einen Fehler seines Kabinetts eingeräumt – nämlich die misslungene Einführung einer Internetsteuer aus dem vergangenen Jahr. Es sei unredlich vom Ministerpräsidenten gewesen, die Korruptionsvorwürfe als Ausdruck von Neid im kommunistischen Stil zu brandmarken. Aber die Nennung des Begriffs Kommunismus könnte dazu gedient haben, das Fidesz-Lager bei der Stange zu halten, glaubt der Autor, der Orbán zudem den Vorwurf macht, er tadele die rechtsradikale Partei Jobbik lediglich wegen ihrer EU-kritischen Haltung.

Miklós Hargitai hält die Äußerung des Ministerpräsidenten für absurd, der zufolge Ungarn den westlichen Lebensstandard innerhalb von fünf Jahren erreichen könnte. In Népszabadság stellt Hargitai fest: Aktuell seien wir weiter von Österreich entfernt als zu Zeiten eines Aufbruchs vor 25 Jahren, der uns näher an den Westen habe bringen sollen. Skeptisch zeigt sich der Autor auch hinsichtlich der Behauptung Orbáns, er habe die Zahl der Politiker halbiert. Dabei geht Hargitai davon aus, dass es sich bei zahlreichen in der staatlichen Verwaltung beschäftigten Menschen um „von der Politik ausgehaltene Leute“ in nie dagewesener Zahl handele. Und was das so berühmte Orbánʼsche Schlüsselwort „Aufmerksamkeit“ statt „Macht“ betrifft, nimmt Hargitai an, dass der Ministerpräsident lediglich denjenigen Aufmerksamkeit schenke, denen es sowieso schon gut gehen würde.

In Magyar Nemzet interpretiert Szabolcs Szerető die Worte des Ministerpräsidenten als Beleg für dessen Einsicht, dass sich Ungarn in den vergangenen fünf Jahren dem Westen nicht angenähert habe. Als Orbán von der Notwendigkeit einer Regierungsführung gesprochen habe, die sich „nahe an den Menschen“ bewegen sollte, habe er offensichtlich seiner eigenen Unzufriedenheit über die Realität hinter den ermutigenden gesamtwirtschaftlichen Zahlen Ausdruck verliehen. Ein vergleichsweiser Vorteil, der die Rechte von der Linken unterscheide, sei deren Fähigkeit, wirkliche Fragen aufzuwerfen, notiert Szerető. Der massiv kritisierte Fragebogen zu Problemen der Immigration könne durchaus als brisant angesehen werden. Doch gehe er ganz sicher auf eine Problematik ein, die für die Zukunft der Europäischen Union von zentraler Bedeutung sein werde.
Ein weiterer positiver Aspekt der gegenwärtigen Regierung ist für den Autor die Tatsache, dass sie agiere. Ihre Projekte könnten kritisiert werden, doch habe sie ganz gewiss neue Kulturzentren gebaut und es geschafft, die starke Zunahme der öffentlichen Schulden einzudämmen. Szerető widerspricht dem Regierungschef, wenn dieser Korruptionsvorwürfe auf Neid zurückführt. Immerhin aber hält er es für ermutigend, dass Orbán sehr großen Wert auf Selbstkontrolle und Selbstkorrektur gelegt habe. Der Autor äußert die Hoffnung, dass mehr Aufmerksamkeit und weniger Macht – wie von Orbán zugesagt – eine neue Phase der Herrschaft einläuten werden. Diese Ziele, darunter auch die Verpflichtung Ungarns zu westlichen Werten, lohnten der Unterstützung, betont Szerető abschließend.

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