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Echo auf US-Gerichtsentscheidung zur gleichgeschlechtlichen Ehe

6. Jul. 2015

Das Urteil des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten, wonach Ehen von Partnern gleichen Geschlechts ein verfassungsmäßiges Recht sind, spaltet die ungarische Öffentlichkeit längs der bekannten Bruchlinie von Linksliberalen und Konservativen. Das linke Lager argumentiert, dass das Gesetz der Liebe nicht im Wege stehen dürfe, während Konservative die Befürchtung umtreibt, dass gleichgeschlechtliche Ehen dem Bevölkerungsrückgang in entwickelten Länder weiter Vorschub leisten dürften.

Mandiner zitiert Worte von Róbert Alföldi anlässlich der Eröffnung des Festivals „Budapest Pride“. Der ehemalige Intendant des Nationaltheaters kritisierte dabei den Oberbürgermeister der Hauptstadt, István Tarlós, der den alljährlich stattfindenden Pride-Umzug als „unnatürlich und widerwärtig“ bezeichnet hatte. Derartige Äußerungen, so Alföldi, seien eines Kulturmenschen nicht würdig, der an christliche und konservative Werte glaube. Er verstehe, dass der Bürgermeister bei der Begegnung mit gleichgeschlechtlichen Paaren möglicherweise ratlos oder von unguten Gefühlen überwältigt werde. Doch als Stadtoberhaupt müsse er sich um eine Änderung dieses Denkmusters bemühen. Tarlós müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass Bürger erster und zweiter Klasse existierten, fordert Alföldi. Falls ihm das gelingen sollte, „dann wird er nicht fast in Ohnmacht fallen, wenn er jemandem wie mir die Hand geben muss“, konstatiert der Schauspieler und Regisseur, der nach eigenem Bekunden „weder stolz ist, Homosexuell zu sein, noch sich dessen schämt“.

Auf Mozgástér pflichtet Gábor Megadja dem Minderheitsvotum innerhalb des Obersten Gerichtshofes der USA bei und bezeichnet das Urteil als „konstitutionellen Staatsstreich“, da es von nicht gewählten Personen gefällt worden sei – im Gegensatz zu einer ähnlichen Entscheidung als Ergebnis eines Referendums in Irland. Der Autor geißelt ungarische Liberale für deren Konsequenz, mit der sie alle fortschrittlichen Maßnahmen ganz unabhängig von ihren verfassungsrechtlichen Problemen unterstützen würden.
Der Oberste Gerichtshof habe sich selbst in die Lage des Souveräns gesetzt, ohne dafür ein Mandat erhalten zu haben, kritisiert Megadja und verweist auf ein vergleichbares Vorgehen des ungarischen Verfassungsgerichts aus früheren Jahren. Dabei habe es Tausende Seiten voller Urteilsbegründungen produziert, in denen das ausgelegt worden sei, was als ungeschriebene Verfassung gegolten habe.
Als in Übereinstimmung mit dem neuen Grundgesetz sämtliche dieser Urteile ihres bindenden verfassungsmäßigen Charakters verlustig gingen, hätten ungarische Liberale dagegen protestiert und argumentiert, die neue parlamentarische Mehrheit schaffe das System von Kontrolle und Überwachung ab. Mit dem Lob für das Urteil über gleichgeschlechtliche Ehen haben die Liberalen nach Ansicht des Autors hingegen bewiesen, dass die Metapher von der Gewaltenteilung für sie lediglich eine Worthülse sei, denn sie würde voraussetzen, dass sich Institutionen gegenseitig kontrollierten. Im vorliegenden Fall hingegen habe das Oberste Gericht praktisch gesetzgeberisch eingegriffen, ohne irgend eine andere Instanz der gegenseitigen Kontrolle einzuschalten, kritisiert Megadja.

Gábor Bencsik lässt – ebenfalls auf Mandiner – die Verdienste der Liberalen bei der Anerkennung der Rechte von sexuellen Minderheiten durchaus gelten: Intelligente Leute würden heutzutage nicht über das Recht eines jeden Menschen debattieren, eine intime, öffentlich sichtbare Beziehung mit wem auch immer zu führen. Wenn Konservative gleichgeschlechtliche Ehen ablehnten, gehe es nicht darum, sich in das Privatleben anderer einzumischen. Vielmehr definierten sie Ehe anders als Liberale, die glaubten, die Ehe sei ein Recht. Konservative dagegen glaubten, die Ehe sei eine Institution, deren Funktion darin liege, die Reproduktion der Menschheit sowie den Schutz von Kindern zu fördern. Natürlich handele es sich auch um einen emotionalen Bund. Ginge es nur darum, gäbe es kein Problem.
Bencsik räumt sogar ein, dass sehr starke moralische Gründe gegen eine jede Art von Diskriminierung in diesem Bereich existierten. Allerdings müssten sich die moralischen Gründe mit biologischen messen. Für Konservative laute die Frage, ob gleichgeschlechtliche Ehen die Reproduktionsfähigkeit der Menschheit oder einer bestimmten Gemeinschaft beeinträchtigen würden – und diese Frage beantworteten sie mit einem Ja. Sinkende Geburtenraten in der entwickelten Welt seien die Folge einer Aushöhlung der Institution Ehe, was sich laut Bencsik auch in einer steigenden Zahl von außerehelichen Geburten und Ehescheidungen ausdrücke. Zwar habe er keinen Beweis dafür, dass gleichgeschlechtliche Ehen diese Trends weiter verstärken würden. Allerdings fragt sich Bencsik, ob die europäische Zivilisation wohl noch existieren werde, wenn die Menschheit dereinst eine endgültige Antwort auf diese Frage gefunden haben sollte.

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