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Literaturnobelpreisträger Imre Kertész gestorben

2. Apr. 2016

Kommentatoren würdigen unisono den am Donnerstag in Budapest im Alter von 86 Jahren verstorbenen Schriftsteller Imre Kertész, der vor allem mit seinem „Roman eines Schicksallosen“ einem breiten Publikum bekannt geworden war.

„Imre Kerzész hatte eine tragische Weltsicht.“ Mit dieser Feststellung erinnert Gellért Rajcsányi auf Mandiner an den Nobelpreisträger und Auschwitz-Überlebenden. Die Werke Kertész’ machten uns darauf aufmerksam, dass Katastrophen in jeder Zivilisation von großer Bedeutung seien. Jede Nation, Kultur und Gemeinschaft könne jederzeit gewalttätig und repressiv werden. Rajcsányi betont, dass die wichtigste von Kertész an uns gerichtete Botschaft laute: Wir müssten unter allen Umständen einer systematischen Entmenschlichung standhalten und widerstehen.

Sollte Kertész Recht haben, gebe es keinerlei Hoffnung, schreibt Gáspár Miklós Tamás auf Kettős Mérce. Für die wichtigste Kertész’sche Erkenntnis hält der marxistische Philosoph die Einsicht, dass sich der Horror des Holocaust rational nicht erklären lasse, denn der Holocaust sei die Leugnung des Menschseins an sich. Folglich habe Kertész vermutet, dass alles – darunter auch sein eigenes Schreiben und Leben ganz allgemein – sinnlos und vergessen das Beste sei, was wir tun könnten. Wir könnten nur hoffen, dass Kertész hierin falsch gelegen habe, resümiert Tamás.

In Magyar Nemzet verweist Zsuzsanna Körmendy auf den Umstand, dass Kertész den Holocaust als eine Metapher benutzt habe, um die unmenschliche Natur und den Horror totalitärer Diktaturen im Allgemeinen aufzuzeigen. Kertész habe sämtliche Ideologien abgelehnt und sich auch unter dem Kádár-Regime nicht wohlgefühlt. Für Körmendy war Kertész eine Person, die jeglichen politischen Erwartungen und ideologischen Strömungen zuwidergelaufen sei.

János Csontos hält Kertész für einen Bilderstürmer. Als Schriftsteller mag er nicht zu den bedeutendsten ungarischen Romanciers gehört haben, doch seine undogmatische Beschreibung und Interpretation des Holocaust machten ihn zu einem originären und unverwechselbaren Schriftsteller, schreibt Csontos in Magyar Idők. Als Demokrat und Humanist habe Kertész den Holocaust als ein Beispiel für Brutalität und Terror und weniger als ein singuläres Ereignis betrachtet. Er habe eine Parallele zwischen den inmitten des Holocaust-Grauens anzutreffenden „alltäglichen Vergnügungen“ und der „Freude“ unter dem Kádár-Regime gezogen. Infolge derartiger undogmatischer Vergleiche hätten „ideologische Werwölfe“ Kertész eine Relativierung des Holocaust vorgeworfen, erinnert Csontos.

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