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Korruptionsvorwürfe und eheliche Gewalt als Wahlkampfthemen

19. Feb. 2018

Die Kommentatoren versuchen sich ihren Reim auf die gegenseitigen Beschuldigungen zu machen, die im Vorfeld der am 8. April stattfindenden Parlamentswahlen offenbar von zentraler Bedeutung sind. Die meisten von ihnen neigen zur der Auffassung, dass die Vorwürfe – obgleich oftmals politisch motiviert – nicht von vornherein jeglicher Grundlage entbehrten.

Im Wochenblatt Hetek weist Gábor Gavra die Verteidigungsstrategie von besonders stark angefeindeten Personen und damit ihr Argument zurück, die gegen sie erhobenen Anschuldigungen seien politisch motiviert. (Zu ihnen gehört Péter Juhász, der umtriebigste Politiker von Együtt [Gemeinsam]. Er hatte zugegeben, mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen zu sein. Ein anderer Fall ist der von István Tiborc, dem Schwiegersohn des Ministerpräsidenten, der vier Jahre lang als Geschäftsführer eines Unternehmens tätig war, das Ausschreibungen für Straßenbeleuchtung in mehreren ungarischen Städten für sich hatte entscheiden können. Diese Projekte waren durch EU-Fördermittel finanziert worden, wobei jedoch die EU-Antikorruptionsbehörde OLAF massive Unregelmäßigkeiten entdeckt hatte. Beide Seiten betrachten die Vorwürfe des politischen Gegners als Teil ihrer jeweiligen Negativkampagnen – Anm. d. Red.)
Gavra begrüßt nun aber die Tatsache, dass derartige Dinge öffentlich gemacht werden. Wahlkämpfe und demokratischer Wettbewerb ganz allgemein hätten keinen Sinn, wenn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nicht befürchten müssten, dass ihr potentiell diffuses Gebaren ans Tageslicht gebracht werden könnte, erklärt Gavra.

Magyar Narancs hält es für eine ausgemachte Sache, dass der Schwiegersohn Viktor Orbáns schuldig ist. In ihrem allwöchentlichen Leitartikel schließen die Redakteure des linksorientierten Wochenmagazins nicht aus, dass der OLAF-Bericht zu Beginn des Wahlkampfes in Ungarn veröffentlicht worden sei, weil die Europäische Union habe signalisieren wollen: „Genug ist genug und von nun an werden wir den Kopf ins Visier nehmen.“ Sollte diese Erklärung wahr sein, dürfte die Ellenbogenfreiheit des Ministerpräsidenten auf internationaler Bühne eingeschränkt werden – vorausgesetzt, er bekäme ein weiteres Regierungsmandat. Die Leitartikler haben noch eine alternative Erklärung parat. Demnach fühle sich die EU selbst gegenüber Orbán machtlos und habe möglicherweise beschlossen, denjenigen, die ihn tatsächlich besiegen könnten, eine gut durchdachte Waffe in die Hände zu geben. Mit Blick auf die Affäre um die eheliche Gewalt von Péter Juhász vertreten die Magyar Narancs-Leitartikler die Auffassung, dass sie von der Regierungsseite als Gegengewicht zu den Korruptionsvorwürfen bezüglich der Straßenbeleuchtungsausschreibungen initiiert worden sei. Die politische Karriere von Péter Juhász sei dennoch vorbei und er werde im V. Bezirk von Budapest sicher unterliegen, wo er einen gegen Korruption gerichteten Wahlkampf führe. Seine Partei Együtt sollte Juhász’ Kandidatur sofort zurückzuziehen und die gesamte Opposition sich hinter den Momentum-Vorsitzenden András Fekete-Győr stellen, der der bekannteste Oppositionskandidat in diesem Wahlkreis sei, empfiehlt der Leitartikel von Magyar Narancs.

In der Wochenzeitschrift 168 Óra äußert sich Dóra Ónody Molnár überzeugt, dass die im OLAF-Bericht als wahrscheinlich angeführten Korruptionsvorwürfe den Tatsachen entsprechen würden. Allerdings macht sie geltend, dass der Ministerpräsident seinen Schwiegersohn am Gewinn derartiger Ausschreibungen auch dann hätte hindern sollen, wenn im Hintergrund keine unlauteren Machenschaften gelaufen wären. Mit Blick auf das Ergebnis der von den ungarischen Staatsanwälten eingeleiteten Ermittlungen zeigt sich die Autorin skeptisch. In jeden Fall jedoch werde sich in absehbarer Zeit, geschweige denn vor den Wahlen, kein Resultat abzeichnen, spekuliert Ónody Molnár.

Gábor Borókai erinnert in seinem wöchentlichen Leitartikel für Heti Válasz daran, dass OLAF Anfang vergangenen Jahres erhebliche Unregelmäßigkeiten beim jüngsten Budapester U-Bahn-Projekt (vgl. BudaPost vom 18. Januar 2017) aufgedeckt habe. Diese Meldung sei für die ohnehin schon angeschlagene linksliberale Opposition verheerend gewesen. (Die Verträge für den Bau der vierten U-Bahn-Linie waren unter der Ägide der sozialistisch-liberalen Stadtverwaltung abgeschlossen worden – Anm. d. Red.) Damals hätten sich die Oppositionsmedien sehr kritisch über den OLAF-Bericht geäußert und die Unparteilichkeit der Agentur in Frage gestellt. Jetzt lägen die Dinge genau umgekehrt. Dennoch sei, so Borókai, über das OLAF-Dokument zum ersten Mal im Washingtoner Wall Street Journal berichtet worden. Merkwürdig auch, dass die New York Times und der Guardian dieses Thema ebenfalls umfassend aufgegriffen hätten. Der Chefredakteur des Wochenblattes findet es daher gar nicht verwunderlich, dass einige Leute politische Motive im Hintergrund zu erkennen glaubten. Abschließend allerdings verteidigt Borókai OLAF und erinnert seine Leser noch einmal daran, dass es zuerst die linksliberale Opposition getroffen hatte.

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