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Erste Reaktionen auf die Orbán-Rede in Siebenbürgen

30. Jul. 2018

In ihren ersten Stellungnahmen zur am Samstag im rumänischen Kurort Băile Tușnad (Tusnádfürdő) gehaltene Rede von Ministerpräsident Viktor Orbán meinen liberale und linke Kommentatoren, dass der ungarische Regierungschef seine illiberale Politik auf die europäische Bühne heben wolle. Regierungsfreundliche Kolumnisten wiederum stimmen Orbáns Forderung nach Ersetzung liberaler Eliten zu.

Europa stecke in einer zivilisatorischen Krise, konstatierte der ungarische Ministerpräsident in seiner alljährlichen, programmatisch ausgerichteten Rede im Rahmen der Freien Universität der Jugend in Băile Tușnad (Széklerland). Gleichzeitig äußerte Orbán die Hoffnung, dass die aktuelle europäische Führung durch die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 ersetzt werden könne. Der Gastredner aus Budapest vertrat die Ansicht, dass politische Korrektheit Westeuropa zwar liberal, nicht jedoch demokratisch gemacht habe, da seitens der Eliten abgelehnte Tatsachen und Meinungen von Mainstream-Medien und Internetgiganten unterdrückt würden. Um die tiefe Krise zu überwinden, müsse Europa zu christlich-demokratischen Prinzipien zurückkehren. Orbán betonte, dass die christliche Demokratie illiberal sei, da sie auf christlichen Prinzipien beruhe und sich gegen Multikulturalismus sowie Masseneinwanderung wende. Das Hauptziel einer christlich-demokratischen Politik sollte die Verteidigung der Menschenwürde, der Familien, der Nation und der Religion sein, so Orbán, der ankündigte, dass seine Regierung im September ein neues Projekt der „kulturellen und spirituellen“ Erneuerung auf den Weg bringen werde.

Péter Magyari vom Nachrichtenportal 444 geht davon aus, dass Ministerpräsident Orbán mit seinen Ausführungen eine Bewerbung um die Führungsrolle in Europa eingereicht habe. Der liberale Kommentator interpretiert die Rede Orbáns als Hinweis darauf, dass der Regierungschef die Europäische Volkspartei verlassen und sich einer neuen Koalition aus nationalistischen Parteien anschließen könnte, die sowohl die Einwanderung als auch eine weitere Integration der EU ablehnen würden.

Auf Mérce (früher Kettős Mérce) äußert András Jámbor die Vermutung, dass Ministerpräsident Orbán zum Anführer der rechtspopulistischen Parteien in der Region aufsteigen wolle. Er habe seine illiberale Rhetorik auf die europäische Ebene gehoben. Statt die Verteidigung der Ungarn für sich zu reklamieren, wolle er nunmehr das schützen, was er als die europäische Zivilisation bezeichne, so der alt-linke Blogger. Orbán brauche eine solche illiberale Politik, um die Freiheit einschränken und die autoritäre Führung zementieren zu können, behauptet Jámbor.

Regierungschef Orbán habe der Europäischen Kommission den Krieg erklärt und die Europäische Volkspartei erpresst. Das schreibt Zoltán Lakner vom Wochenmagazin 168 Óra. Der linke Analyst glaubt, Orbán wolle die EU nach seinen illiberalen Vorstellungen reformieren, anstatt sie zu verlassen. Mit Blick auf Ungarn geht Lakner davon aus, dass die Regierung einen noch vehementeren Kulturkrieg vom Zaun brechen werde, um ihre Wählerklientel entlang ideologischer Bruchlinien weiter zu festigen.

Gyula T. Máté bezeichnet die Botschaften von Ministerpräsident Orbán als ganz eindeutig: Ungarn übernehme die Verantwortung für die Ungarn im Karpatenbecken, wolle die unter der Führung der „deutsch-französischen Achse“ stehende ausufernd-bürokratisierte EU bekämpfen und sich gegen die „liberale Diktatur“ in Politik und Kultur wehren. In Pesti Srácok hält der regierungsnahe Kommentator die liberalen Behauptungen, die Migrationskrise sei überwunden und die Zuwanderung kein wichtiges Thema in Europa mehr, für absurd. Máté führt die „hysterischen“ liberalen Reaktionen auf die Ausführungen Orbáns in Tusnádfürdő auf die Befürchtung der ungarischen Liberalen zurück, sie könnten demnächst ihre europäischen Verbündeten im Kampf gegen die Orbán’sche Politik verlieren.

In einem lapidaren Kommentar auf 888 legt Gábor G. Fodor nahe, dass Orbán den Beginn eines neuen Zeitalters verkündet habe. „Liberale Eliten müssen besiegt werden“, fasst der regierungsfreundliche Analyst die Rede von Tusnádfürdő zusammen.

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