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Jobbik im Fokus

30. Dec. 2013

Handelt es sich bei Jobbik um eine post-faschistische Bewegung oder um eine vom Protest inspirierte Splitterpartei? Wie radikal ist ihr Programm? Lässt sie sich mit populistischen rechtsextremen Parteien in Westeuropa vergleichen? Mit Hilfe von vergleichenden Analysen diskutieren auf VS Intellektuelle und Experten die Ideologie von Jobbik sowie die Wahlchancen der Partei.

Die Unterstützer von Jobbik seien weder Nazi-Proleten noch Verlierertypen, stellt Keno Verseck auf dem neuen, in der politischen Mitte angesiedelten Online-Medium VS fest. Der deutsche von Budapest aus berichtende Journalist verweist darauf, dass zahlreiche Jobbik-Anhänger gebildete Leute der Mittelklasse seien und die Partei vor allem unter der jüngeren Generation auf dem Lande Anhänger finde. Jobbik verstehe es erfolgreich, sich mit Menschen zu verbinden, die vom liberal-demokratischen Politik-Establishment der Jahre nach 1989 und entsprechenden Eliten enttäuscht seien. Zu diesem Zweck würden wichtige soziale Fragen in eine rassistische und anti-demokratische Sprache gekleidet. Verseck fährt fort, dass es sich bei der Ideologie der Partei um eine Mixtur aus antikommunistischer Rhetorik, nationalem Radikalismus und Wohlfahrtspopulismus handele. „In einem Lande ohne die Last einer kommunistischen Vergangenheit würden sich junge Jobbik-Wähler linksradikalen Ideen zuwenden oder fortschrittliche Bürgerbewegungen unterstützen“, mutmaßt Verseck. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass Jobbik eine Vergrößerung ihrer Anhängerschaft gelingen werde, da sich die Fidesz-Regierung deren attraktivsten Ideen durch eine Kriegserklärung an Fremdwährungskredite sowie die Koppelung von Sozialleistungen an gesellschaftliche Arbeit zu eigen gemacht habe.

Kristóf Domina, Chef des Athena Institute, glaubt, dass Jobbik dadurch profitiert, dass die Partei die Enttäuschung der Verlierer des demokratischen Übergangsprozesses und der nach dem Regimewechsel 1989 eingeführten Marktwirtschaft kanalisiere. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hätten die ungarischen Eliten davon gesprochen, dass eine Mitgliedschaft in der EU und der NATO dem ganzen Land Wohlstand bescheren würde. Allerdings hätten viele Menschen in den weniger entwickelten ländlichen Regionen des Landes bislang nicht vom Übergang profitiert. Nach Ansicht Dominas kann Jobbik auch als eine radikale Partei betrachtet werden, die zur Bändigung von gegen das Establishment gerichteten Gefühlen beitrage, indem sie die von gemäßigten Parteien des linken und rechten Spektrums ignorierten sozialen Fragen berücksichtige. Ein Jobbik-Verbot würde lediglich solche Menschen weiter radikalisieren, die ihr Vertrauen in die Eliten verloren hätten, gibt der Vertreter der Menschenrechtsorganisation, die sich hauptsächlich auf extremistische Bewegungen konzentriert, zu bedenken. Demzufolge rät er gemäßigten Parteien dazu, sich sowohl auf die Bedürfnisse der ländlichen Mittel- und Unterschicht einzulassen, als auch die Korruption zu bekämpfen, um auf diese Weise Jobbik den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Jobbik sei eine post-faschistische Protestbewegung, meint Gáspár Miklós Tamás. Jobbik verfüge über keinen totalitären Ideologiekern, sondern sei vielmehr auf populären Elementen innerhalb des öffentlichen Gedächtnisses gegründet, glaubt der marxistische Philosoph. Er spekuliert, dass Jobbik durch die Verbindung einer gegen das Establishment gerichteten Rhetorik mit dem Kult der Zwischenkriegszeit mögliche Rebellen beschwichtige sowie die Legitimität einer eher konservativen Gesellschaftsordnung stärke.

In ihrem Debattenbeitrag zieht die Soziologin Anikó Félix eine Parallele zur griechischen Partei Goldene Morgenröte. Beide rechtsextremen Bewegungen wendeten sich sowohl an die Verlierer der Marktwirtschaft als auch junge Menschen aus der Mittelschicht. Für Félix sind die Erfolge von Jobbik und Goldene Morgenröte weitgehend das Ergebnis ihrer Strategie, die darin bestehe, ihre Vorstellungen mittels Schaffung einer neuen, für die junge Generation attraktiven öffentlichen Kultur zu verkaufen. Jobbik sei nicht einfach nur eine politische Partei, sondern auch das Zentrum einer spezifischen Subkultur mit ihren eigenen Rockgruppen, Symbolen, Outfits und Sozialen Medien, schlussfolgert Félix.

Obgleich Jobbik an der Basis von jungen Ungarn getragen werde, so sei bei der jungen Generation nach wie vor Fidesz die beliebteste Partei, beobachtet der Politikwissenschaftler Rafael Pablo Labanino. Dennoch könnte sie Fidesz von rechts herausfordern, da sich Jobbik sehr erfolgreich an ansonsten versprengte und apathische junge Ungarn wende. Obgleich sich Fidesz umfangreich sowohl bei Jobbik’scher Engstirnigkeit, nationalistischer Phrasendrescherei, Law-and-Order-Rhetorik als auch bei ihren Vorschlägen zur Kürzung von Sozialleistungen bedient habe, könne sich Jobbik als Oppositionspartei noch radikalere Forderungen leisten.

„Jobbik ist sowohl ein europäisches als auch ein ungarisches Phänomen“, stellt Péter Techet, Chefredakteur von VS, fest. Techet glaubt, dass es sich bei Jobbik um das ungarische Gegenstück zu fremdenfeindlichen nationalistischen Parteien in Westeuropa handele. „Die extreme Rechte in West- und Osteuropa propagiert den gleichen Hass, doch mit unterschiedlichen Zielsetzungen.“ Während rechtsextreme Parteien in Westeuropa Einwanderer aufs Korn nähmen, stünden im Fokus ihrer osteuropäischen Pendants nationale und ethnische Minderheiten. Die Popularität einer solchen Rhetorik dürfte uns zusammen mit der Wirtschaftskrise erhalten bleiben, vermutet Techet. Um die extreme Rechte herauszufordern, so Techet, sollten sich linke Parteien unter Nutzung einer nicht rassistischen Sprache mit den Belangen der von Armut und Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen beschäftigen.

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