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Wahljahr 2014

6. Jan. 2014

In ihren ersten Kommentaren im neuen Jahr analysieren Kolumnisten die politische Landschaft, wobei die meisten Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei als wahrscheinliche Sieger der nächsten Wahlen sehen. Lediglich ein Kommentator des linken Spektrums spekuliert, dass die Anhängerschaft der Opposition bei den Meinungsumfragen unterrepräsentiert sei.

Bei der Betrachtung der Kräfte, die im kommenden Frühling um Parlamentssitze kämpfen werden, sieht Csaba Zsebők von Magyar Hírlap keinen ernstzunehmenden Herausforderer für die Partei des Ministerpräsidenten. Der Linke mangele es an einer wirklichen Führerpersönlichkeit, schreibt er. Attila Mesterházy, der Vorsitzende der Sozialisten, habe bewiesen, dass er ein erfolgreicher Machttechnokrat innerhalb seiner Partei, nicht jedoch darüber hinaus sei. Ebenso wenig habe sein Rivale und Verbündeter Gordon Bajnai ein großes rhetorisches Talent an den Tag gelegt, besonders im Vergleich zu Ferenc Gyurcsány, dem Vorsitzenden der Demokratischen Koalition. Dieser jedoch habe während seiner Zeit als Ministerpräsident einen extrem schlechten Eindruck in der Erinnerung der Menschen hinterlassen. So seien Mesterházy und Bajnai überzeugt, dass gemeinsam mit ihm ein Sieg ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Ihr Problem bestünde aber auch darin, dass ohne Gyurcsánys Wähler auch für sie ein Sieg unerreichbar erscheine.
Kleine, links der Mitte stehende Parteien wie die Sozialdemokraten oder eine neue, von der früheren sozialistischen Parlamentspräsidentin Katalin Szili ins Leben gerufene, verfügten über praktisch keinerlei Chancen für einen Einzug ins Parlament. Eine neue vom ehemaligen SZDSZ-Vorsitzenden Gábor Fodor gegründete liberale Partei liege in den Umfragen bei zwei Prozent, was einerseits noch weit entfernt von den für den Parlamentseinzug notwendigen fünf Prozent liege, aber doch bei weitem besser sei als die Ergebnisse der neuen neokonservativen Partei des ehemaligen Finanzministers Lajos Bokros, die bereits mitgeteilt habe, sie werden nicht ohne fremde Hilfe ins Rennen gehen. LMP liege im Bereich der der Fünf-Prozent-Hürde, doch vermutet Zsebők, dass die Partei ihre Wählerschaft im ländlichen Raum noch vergrößern müsse, um im Parlament bleiben zu können. Die rechtsextreme Jobbik-Partei wiederum wolle Zsebők zufolge auch relativ gemäßigte Schichten ansprechen und besonders bei jungen Wählern punkten. Ihr Problem bestehe darin, dass die Partei bei vielen moderaten Wählern des rechten Spektrums nach wie vor als nicht „salonfähig“ betrachtet werde.

In seinem wöchentlichen Leitartikel in 168 óra ermahnt Tamás Mészáros die linken Parteien, sich endlich zusammenzuschließen, und kritisiert sie dafür, wirkungsvoller an der Spaltung der Linken gearbeitet zu haben als ihre Parteien in einer existenzfähigen Allianz zusammenzuschweißen. Diejenigen, die nur daran dächten, für sich selbst einen Platz im Parlament zu ergattern, würden – selbst wenn ihnen dies gelänge – zu den Verlierern zählen, wenn die Linke als Ganzes scheitern würde. Falls die gegenwärtige Regierung wiedergewählt würde, mutmaßt Mészáros, „wird sie die Schaffung eines Fidesz-Konglomerats vollenden, das an die Stelle des demokratisch-institutionellen Rahmens tritt“, und Ungarn „definitiv unbewohnbar“ machen. Aus diesem Grunde würden die Wähler des linken Spektrums erwarten, dass die Oppositionsführer ihre Differenzen beiseite legten, und es ihnen nicht verzeihen, wenn sie nicht zu einer Verständigung kämen. Auf jeden Fall sollte die Linke eine absolute Mehrheit erreichen, denn gemäß der Überzeugung von Mészáros würde Fidesz zur Regierungsbildung und falls notwendig sicher nicht vor einer Allianz mit Jobbik zurückschrecken. Der Autor glaubt nicht den Schwarzsehern, die die Wahl schon verloren geben. Zudem hält er die Angaben zu den Parteipräferenzen in Umfragen für irreführend, schließlich hätten viele Linkswähler Angst davor, den Interviewern ihre Wahlabsichten offenzulegen.

In Demokrata erwartet Chefredakteur András Bencsik einen „rücksichtslosen und unbarmherzigen“ Wahlkampf. Auch wenn die Linke moralisch zersetzt sei, so sei die linksliberale Presse in der Lage, in einen letzten Grabenkrieg gegen die Regierungskräfte zu ziehen – und dies unter jedem Vorwand. Zu diesen zähle etwa die Nationalisierung des Schulbuchmarktes. Dies sei laut Kritikern nichts anderes als „gnadenlose Enteignung“, während Bencsik sie als Mittel bewertet, im gesamten Land gleiche Lehrstandards zu schaffen. Ebenso behaupte die linke Presse, dass die Regierung Programme für das Pachten von Land zu Gunsten ihrer Gefolgsleute manipuliere, was Bencsik als pure Hysterie beschreibt. Durch eine nie dagewesene Agrarreform, so der Autor, hätten stattdessen über 3.000 Landwirte Zugriff auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen erhalten. Abschließend erwähnt der Autor den Fall des Whistleblowers, der „die gesamte Steuerbehörde“ beschuldigt habe, Mehrwertsteuerbetrug von multinationalen Firmen gedeckt zu haben, während die Behörden selbst einen „Krieg gegen die Multis“ führten. In jedem Fall, so die Optik Bencsiks, erfreue sich die Regierung der Unterstützung von zwei Dritteln der Bevölkerung. Während des Wahlkampfes müssten die rechten Medien die Kernprobleme ansprechen, „moderierend, doch falls nötig die Propagandakampagne auch niederschreiend“, so Bencsik.

In Parameter, einem ungarischen Internetmagazin mit Sitz im slowakischen Dunajská Streda, äußert Wirtschaftsprofessor Zoltán Pogátsa die Ansicht, dass die Linke die im Frühjahr stattfindenden Wahlen bereits verloren habe, denn sie könne keine authentische linke Alternative zur gegenwärtigen konservativen Regierung anbieten. Laut seiner Überzeugung benötigte Ungarn dringend eine moderne sozialdemokratische Regierung, denn die Mittelklasse sei zu dünn, um eine Demokratie zu tragen, und das Sozialsystem zu schwach, um soziale Mobilität zu gewährleisten. Als die Sozialistische Partei jedoch in der Regierungsverantwortung stand, habe sie ausnahmslos eine libertäre Politik verfolgt, die sie letzten Endes bei der Mehrheit der Wähler extrem unpopulär gemacht habe. Die Sozialisten hätten keine eigene Strategie gehabt und seien stattdessen eher der libertären Wirtschaftspolitik ihrer liberalen Bündnispartner gefolgt. Im Ergebnis habe eine sich vergrößernde Einkommenslücke gestanden, die Millionen von benachteiligten Ungarn, inklusive der meisten Roma, daran hindere, der Armut zu entrinnen. Aufgrund des Fehlens einer authentischen Linken sei es laut Pogátsa allmählich dazu gekommen, dass soziale Konflikte häufig in Rassenkategorien ausgedrückt würden. Dies habe letzten Endes zum Vorhandensein einer starken rechtsextremen Partei im Parlament geführt. Die linke Opposition habe keinerlei Lehren aus der krachenden Wahlniederlage von 2010 gezogen. Sie versuche, die selben Gesichter wie 2010 zu verkaufen, keine ihrer Parteien verfüge wenige Monate vor der Wahl über ein wirtschaftspolitisches Programm und ihre Aussage sei praktisch keine andere, als dass Ungarn wieder in das Zeitalter vor 2010 zurückkehren sollte. „Deshalb haben sie die Wahl 2014 schon verloren“, prophezeit Pogátsa.

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