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Polen kritisiert Orbáns Autonomieforderung

19. May. 2014

Ein der Regierung nahestehender Kolumnist hält die Ukraine nicht einfach nur für das Opfer einer russischen Aggression, sondern für ein Schlachtfeld zwischen den USA und Russland. Kiew könne die östliche Ukraine nur behalten, wenn die Regierung der örtlichen russischsprachigen Bevölkerung die Autonomie gewährt. Eine Oppositionszeitung sieht Ungarn mit Blick auf die Auslandsungarn in der Verantwortung, doch würde die Forderung Viktor Orbáns nach Autonomie und doppelter Staatsbürgerschaft für die Ungarn in der Karpato-Ukraine absehbar für Spannungen im Nachbarland sorgen und sei demzufolge zynisch. Ein weiterer Kolumnist aus dem Oppositionslager stellt die Frage, welche Konsequenzen die Ukraine-Krise und die Stellungnahme Orbáns für die Autonomiepläne der ungarischsprachigen Székler in Rumänien haben werden.

Ministerpräsident Viktor Orbán war auf die Ukraine und die in ihr lebende 200.000-köpfige ungarische Minderheit vor zehn Tagen gegen Ende seiner Antrittsrede nach erfolgter Wiederwahl zum Regierungschef durch das Parlament eingegangen. Dabei äußerte er, die Ungarn in der Karpato-Ukraine (auch als Transkarpatien bekannt) sollten Minderheitenrechte, die doppelte Staatsbürgerschaft sowie eine Selbstverwaltung – falls gewünscht – erhalten. Ungarn unterstütze ihre Bestrebungen. Weiter sagte Orbán, in der aktuellen Krise stehe Ungarn hinter der Ukraine, sodass der Nachbar eine echte Demokratie und ein besseres Land aufbauen könne. Die ukrainische Interimsregierung bestellte daraufhin den ungarischen Botschafter in Kiew ein und forderte eine Erklärung. Und vergangene Woche kritisierte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk Orbán bei einem Treffen der Regierungschefs aus den vier Visegrád-Staaten in Bratislava öffentlich mit scharfen Worten.

In der Tageszeitung Népszava beschreibt Tamás Mészáros die Diskussion als einen Konflikt zwischen Prinzipien und Interessen. Der Nachdruck, den Donald Tusk auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine lege, sei weniger Ausdruck von Militanz als vielmehr ein Anzeichen von „Realpolitik“. Der polnische Spitzenpolitiker halte eine territoriale Aggression im Prinzip für wichtiger als Energiepreise, während sich die Spitzen der Tschechischen Republik und der Slowakei eher um ihre Energieversorgung sorgten und demzufolge einen konzilianteren Ton anschlügen. Mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten bezeichnet Mészáros dessen Bemerkungen als eine „instinktlose verbale Einmischung“, die die Lage für die Auslandsungarn nur verschlimmern könne. Der Verfasser glaubt sogar, dass sich der Ministerpräsident der Gefahren einer Gegenreaktion sehr wohl bewusst gewesen sei, und wirft ihm demzufolge vor, eine solche Gegenreaktion bereitwillig riskiert zu haben, um sich bei den einheimischen Wählern beliebt zu machen.

Levente Szőcs betrachtet den Plan für eine Autonomie der Székler, wie ihn der RMDSZ (die größte Partei ethnischer Ungarn in Rumänien – Anm. d. Red.) dem Parlament in Bukarest demnächst vorlegen möchte. In Népszabadság schreibt der Autor: Obwohl eine Székler-Autonomie bereits lange Zeit im Gespräch sei und sich die entsprechenden Ängste in Rumänien etwas gelegt hätten, erschwerten die aktuelle Krise in der Ukraine sowie die Äußerungen Viktor Orbáns über örtliche Selbstverwaltungen für ethnische Ungarn den ungarischstämmigen Politikern in Rumänien ihre Aufgabe ganz erheblich. Obwohl RMDSZ-Chef Hunor Kelemen unterstrichen habe, dass der Plan nicht im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine stehe, beschreibe die rumänische Presse die Ukraine-Krise als „eine Blaupause dafür, wie ein Land ohne direkte militärische Intervention auseinanderzureißen sei“. Unter derartigen Umständen habe der Plan kaum Chancen auf Verwirklichung, zeigt sich Szőcs pessimistisch, glaubt aber dessen ungeachtet, dass es sich dabei nicht um eine komplett nutzlose Übung handele: Niemand habe zuvor den Versuch unternommen, die Wirtschaftlichkeit eines autonomen Széklerlandes genauer unter die Lupe zu nehmen. Bis jetzt würden die Székler mehr aus dem Zentralhaushalt überwiesen bekommen als sie in ihn hinein zahlten. Es sei höchste Zeit, fordert Szőcs, sich die Zahlen einmal genauer anzuschauen.

In der regierungsfreundlichen Tageszeitung Magyar Hírlap beschreibt Gyula T. Máté das Referendum in der Ost-Ukraine als nicht völlig legal, aber auch mehr als eine Farce. Der Autor betont die hohe Beteiligung an dem Referendum. Darüber hinaus stoße eine Autonomie auf eine sehr starke Unterstützung, allerdings hätten internationale Beobachter keinen Zugang zu den Wahllokalen gehabt. Der Westen sei im Irrtum, wenn er Russland für die Krise verantwortlich mache, seien es doch die USA gewesen, die zuerst die Proteste auf dem Maidan unterstützt hätten. Demzufolge seien sie für die aktuelle Pattsituation mitverantwortlich. Gyula T. Máté konstatiert die mangelnde Kampfbereitschaft der ukrainischen Armee. Die Auseinandersetzungen würden von Milizen – sowie laut deutschen Presseberichten zusätzlich von vierhundert amerikanischen Söldnern geführt. Dies habe zum „Albtraum in Odessa und zum Massaker von Mariupol“ geführt, was die restliche Ost-Ukraine zusätzlich in Rage gebracht habe. Somit sei der einzige Weg, den Zusammenhalt der Ukraine aufrechtzuerhalten, deren Umgestaltung in einen föderativen Staat, schlussfolgert der Autor.

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