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Streit über Roma in Miskolc und den Holocaust an der Volksgruppe

11. Aug. 2014

Liberale Experten kritisieren sowohl die Rechte als auch die Linke, weil sich beide nicht dem Problem von in Armut lebenden Roma stellen würden. Ein Minister wird wegen einer „unglücklichen“ Stellungnahme zum Holocaust an den Roma angegriffen. Eine niederländisch-ungarische Psychologin wiederum fordert für Ungarn die Veröffentlichung von ethnisch basierten Kriminalstatistiken.

In der nordostungarischen Stadt Miskolc hat der Stadtrat mit der Evakuierung eines Elendsviertels begonnen, das über keine geeignete sanitäre Versorgung verfügt und überwiegend von mittellosen Roma bewohnt wird. Zuvor hatten 35.000 Bewohner eine Petition unterzeichnet, in der eine Säuberung des Viertels gefordert wird. Die Kommunalregierung bietet den evakuierten Familien eine Wohnmöglichkeit außerhalb von Miskolc an. Die vom ehemaligen Regierungschef Gordon Bajnai gegründete Partei Gemeinsam 2014 behauptet, dass der vom Fidesz geführte Stadtrat gegen das Gesetz verstoße. Und die MSZP verlangte in einer Presseerklärung eine „humanitäre Lösung“ sozialer Probleme.

In Népszava schreibt Robert Friss, die Linke sei mittlerweile zynisch geworden. Es fehle ihr der Mut, der Evakuierung armer Roma-Familien die Stirn zu bieten, die, so die Einschätzung des Autors, von Anti-Roma-Ressentiments motiviert sei. Der linksliberale Kolumnist argwöhnt, dass die Linke bei einer Aktion mit dem vom Fidesz geleiteten Stadtrat kollaboriere, die Friss mit einer „Art ethnischer Säuberung“ vergleicht. In einer Nebenbemerkung äußert er sich vor allem darüber enttäuscht, dass der von den Linken unterstütze Miskolcer Bürgermeisterkandidat (vgl. BudaPost vom 5. Juli) die Evakuierung mit der unverblümten Behauptung kommentiert habe, der Rat wolle die Ghettos im Zuge eines „Immobilienspekulationssystems“ loswerden. Dabei hätte Kandidat Albert Pásztor die Evakuierung aufgrund ihres diskriminierenden Charakters kritisieren sollen, so Friss.

„Wir sind Weltmeister der Selbstgefälligkeit“, beklagt Péter Pető in Népszabadság. Der liberale Autor bezichtigt die Linke, sie würde still und leise dem auf arme Roma abzielenden Projekt zustimmen. „Die gleichen linken Politiker, die beim Protest gegen das Nazi-Invasionsmahnmal in Budapest vor den Kameras posieren (vgl. BudaPost vom 23. Juli), unterstützen die Kandidatur Pásztors für das Bürgermeisteramt in Miskolc“, beschwert sich Pető. Als Schlussfolgerung habe die Linke der harten und unfairen Politik der Rechten nichts entgegenzusetzen, notiert der Autor. Folglich, selbst wenn die Linke in Miskolc siegen würde, werde es keine Kehrtwende mit Blick auf eine, wie Pető es nennt, „unmenschliche Vorgehensweise“ geben.

Die traurige Wahrheit sei, dass kein Unterschied hinsichtlich des Inhalts rechter und linker Politik in Miskolc existiere, behauptet Heti Világgazdaság. Das liberale Wochenblatt bezeichnet die Reaktionen der Linken auf die Evakuierung in Miskolc als die zynische „Forderung nach einer menschlicheren Deportation“, was stillschweigend die Legitimation der „Kollektivstrafe“ für arme Roma anerkenne.

 

Minister Balog zum Roma-Holocaust

Am Rande einer Veranstaltung zum Gedenken an den Roma-Holocaust im Jahre 1944 hat der Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, in einem telefonisch geführten Interview geäußert, dass „von Ungarn aus keine Roma deportiert worden sind. Die ungarischen Roma wurden von Österreich aus deportiert, demzufolge war Ungarn ebenfalls beteiligt“. Verfechter der Roma-Rechte behaupten nunmehr, dass die Formulierung Balogs den Anschein erwecke, Ungarn sei nicht für die Ermordung der Roma im Rahmen des Holocaust verantwortlich. Zudem warfen Politiker aus dem linken Spektrum dem Minister vor, den Holocaust zu relativieren. Balog wiederum wies sämtliche Vorwürfe von sich, er wolle die ungarische Verantwortung für die Verfolgung der Roma leugnen. Er erinnerte daran, dass er sich seit Jahren aktiv der Erinnerung an den Roma-Holocaust verschrieben habe, und fügte hinzu, seine Worte seien von den Kritikern vollkommen missdeutet und verfälscht worden. Minister Balog beteuerte, er habe lediglich darauf hinweisen wollen, dass die Deportation ungarischer Roma einem anderen Muster gefolgt sei als die Deportation ungarischer Juden.

In einem Leitartikel auf der Titelseite von Magyar Narancs heißt es, Minister Balog wolle Ungarn einen Persilschein für seine Verantwortung beim Roma-Holocaust ausstellen. Das liberale Wochenmagazin wirft dem Minister vor, er propagiere eine gegen Roma gerichtete Politik, während er zugleich behaupte, er wolle die Roma aus ihrer Armut führen. Die Armut bekämpfende Strategie von Minister Balog fördere Segregation und festige gegen Roma gerichtete Vorurteile, behauptet Magyar Narancs.
Auf den Blogseiten von Magyar Narancs bekennt Júlia Lévai, sie empfinde die Bemerkung des Ministers als eigenartig. Gleichzeitig hält sie es für unfair, ihm eine Relativierung des Holocaust vorzuwerfen, wie dies die Demokratische Koalition in ihrer Anzeige getan habe. Dessen ungeachtet glaubt die Autorin, der Minister habe durch den Hinweis darauf, dass die Züge Richtung Todeslager vom Territorium des heutigen Österreichs abgefahren seien, die Verantwortung der ungarischen Behörden schmälern wollen. „Weder ist das ein Verbrechen, noch sollte es eines sein. Diejenigen, die das kriminalisieren wollen, geben zu, dass ihnen die politische Munition ausgegangen ist“, meint Lévai.

 

Zur Auffälligkeit ethnisch basierter Kriminalstatistiken

„Die Veröffentlichung von Statistiken zum ethnischen Hintergrund von Kriminellen läuft nicht auf Rassismus hinaus.“ Auf dieser Feststellung besteht Sjoukje Borbély in einem Artikel für Népszabadság. Die niederländisch-ungarische Psychologin glaubt, dass die Liberalen zu unrecht denjenigen Voreingenommenheit vorwerfen, die offen den überdurchschnittlichen Anteil bestimmter ethnischer Minderheiten an spezifischen Verbrechen zur Sprache brächten. (Genau das war die „ursprüngliche Sünde“, die Albert Pászor in Miskolc zur Last gelegt wurde – Anm. d. Red.) Borbély erinnert daran, dass nach Ethnien aufgeschlüsselte Kriminalstatistiken in den Niederlanden bereits lange gang und gäbe und bei der Lösung unterschiedlicher sozialer Herausforderungen von Einwanderergruppen hilfreich gewesen seien. Diese Daten hätten Sozialarbeitern und Behörden beim Verständnis der Lage armer Einwanderer sowie bei der Erarbeitung von Maßnahmen geholfen, die Einwanderern wirkungsvolle Alternativen zur Kleinkriminalität geboten hätten.
Die Psychologin hegt den Verdacht, dass Liberale und Linke aus der Mittelschicht in gut situierte Gegenden ohne ethnische Minderheiten zögen und dann jeden als Rassisten bezeichneten, der einen Zusammenhang zwischen ethnischem Hintergrund und Kriminalität zu erkennen glaube. Nach Ansicht Borbélys wird sich die Lage der ungarischen Roma so lange kaum verbessern, wie sich Eliten der Mittelschicht in derartige symbolische Streitereien über Wörter und Begriffe verstrickten, anstatt sinnvolle Sozialprogramme auszuarbeiten, um in Armut lebenden Roma Auftrieb zu geben.

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