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Erst Merkel, dann Putin

2. Feb. 2015

Die ungarischen Wochenmagazine betrachten die Gespräche von Bundeskanzlerin Merkel am Montag in Budapest sowie den Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin zwei Wochen später vor dem Hintergrund der ungarischen Position als Nato-Mitglied, das Sanktionen gegen Moskau kritisiert hat und zugleich an neuen gemeinsamen Projekten mit Russland arbeitet.

Auf der Titelseite von Magyar Narancs schweben Ministerpräsident Orbán und Kanzlerin Merkel im Himmel. Dabei fliegt Merkel – als Engel stilisiert – über dem Kopf des ungarischen Regierungschefs. Drei weitere Wochenmagazine bilden auf ihren Titeln Merkel und Putin Seite an Seite ab: Demokrata zeigt sie sich gegenseitig anlächelnd, bei HVG ist eine Landkarte Ungarns als Wippe gezeichnet zu sehen, wobei Merkel und Putin auf ihren beiden Seiten sitzen, während sich die beiden bei Heti Válasz schüchterne Blicke zuwerfen.

In 168 Óra meldet sich László Kasza mit der Vermutung zu Wort, Merkel komme nach Ungarn, um Orbán vor den Konsequenzen dessen zu warnen, was der Verfasser als Orbáns antieuropäische Außen- und antidemokratische Innenpolitik bezeichnet. Er legt sogar nahe, dass Merkel den Ausschluss des Fidesz aus der Europäischen Volkspartei in Erwägung ziehen könnte, doch hofft Kasza, dass sie letztendlich nicht so weit gehen werde. Andererseits interpretiert er das Spitzentreffen als Versuch des ungarischen Ministerpräsidenten „sich von seiner diplomatischen Isolation zu befreien“, da es sich beim letzten bedeutenden Politiker, der Budapest in den vergangenen vier Jahren einen Besuch abstattete, um den chinesischen Staatspräsidenten gehandelt habe.

Magyar Narancs glaubt an eine stillschweigende Übereinkunft beider Seiten, wonach sich Ungarn nicht mehr gegen weitere Sanktionen gegen Russland sperren und Deutschland im Gegenzug auf eine Kritik an der Innenpolitik der Regierung verzichten werde. Mit Blick auf die möglichen Gründe, weswegen der ungarische Ministerpräsident den russischen Präsidenten so kurz nach der Merkel-Visite eingeladen habe, vermutet der Leitartikler von Magyar Narancs, dass als Gegenleistung für diese freundliche Geste Orbán künftig mit preiswerteren Gaslieferungen aus Russland rechnen könne. Abschließend bezichtigt der Leitartikler die Regierung der „düstersten persönlichen Motive“ für den Umstand, dass das heutige Russland zu ihren strategischen Partnern gehöre.

Péter Bándy empfindet es als absurd, dass Vertreter der Opposition die Regierung immer wieder kritisieren, weil sie es wage, Gespräche mit Russland über eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu führen. In Demokrata fordert der Autor eine Mäßigung ihres Vorwurfs, dem zufolge „Orbán Europa herausfordert“, nachdem doch Angela Merkel dem Weltwirtschaftsforum in Davos mitgeteilt habe, die Bundesregierung sei zu Verhandlungen über die Bildung einer Freihandelszone mit Europa und Russland als Partnern bereit, falls Moskau bei der Lösung der Ukraine-Krise mithelfen sollte. Auch werde es ihnen immer schwerer fallen zu behaupten, dass niemand zu Gesprächen mit Viktor Orbán bereit und Ungarn restlos isoliert sei, wenn der ungarische Ministerpräsident erst einmal zwei der wichtigsten Akteure der Weltpolitik empfangen haben wird, notiert Bándy.

Beide Spitzen der Weltpolitik hätten sich zu Besuchen in Budapest entschlossen, weil Ungarn eine Schwachstelle innerhalb der Europäischen Union darstelle, schreibt Béla Weyer in HVG. Während die Kanzlerin „die Einheit der Union wiederherstellen“ wolle, folge Moskau dem Prinzip „teile und herrsche“. Es stelle sich die Frage, so Weyer, in wie weit es Kanzlerin Merkel gelingen werde, Ministerpräsident Orbán gegen potenziell verlockende Offerten von Seiten Putins zu immunisieren. Merkel möchte gerne entsprechende Zusagen erreichen und im Gegenzug werde es ihr egal sein, ob Orbán ihre Visite für eigene innenpolitische Zwecke ausschlachte.
In einem weiteren Artikel zum gleichen Thema merkt István Riba an, dass, sollte sich Ungarn an die gemeinsame harte Gangart der Union gegenüber Russland halten müssen, das sicher keine „vielversprechende Empfehlung“ für den Budapest-Besuch von Präsident Putin sein werde.

In Hetek äußert Zsolt Hazafi die Vermutung, dass die Haltung Ungarns zu den gegen Russland gerichteten Sanktionen seit vergangenem September, als die ungarische Seite die deutsche Kanzlerin zu einem Besuch Ungarns eingeladen hatte, eine umfassende Veränderung durchgemacht habe. Im vergangenen Sommer sei Viktor Orbán ein „fast vereinsamter“ Kritiker der Sanktionen gewesen, stellt der Autor fest. (Tatsächlich hatten auch die Führungen der Tschechischen Republik und der Slowakei ähnliche Vorbehalte geäußert – Anm. d. Red.) Gegenwärtig, so Hazafi weiter, räumten führende Fidesz-Politiker offen ein, dass Ungarn die deutsche Haltung in diesen Fragen komplett teile. Merkel spiele auch für die Vereinigten Staaten die Rolle einer Vermittlerin, müssten sie doch nicht direkt mit Budapest kommunizieren, wenn sie Streitfragen mit Ungarn beilegen wollten. „Sie müssen lediglich Merkel bitten, die Ungarn zu überzeugen“, zitiert Hazafi einen ungenannten „internationalen Experten“.

In Heti Válasz schreibt Botond Feledy, der ungarische Ministerpräsident sei ein erhebliches Risiko eingegangen, als er einem Empfang Putins gerade einmal zwei Wochen nach der Merkel-Visite Budapests zugestimmt habe. Der Autor glaubt zu wissen, dass das Bundeskanzleramt die Ungarn entschieden um einen späteren Termin für den Putin-Besuch gebeten habe, aus Furcht, er würde „den Einfluss der Merkel-Visite untergraben“. Um das Scheitern dieser Bemühungen wieder gutzumachen, könnte Ungarn nicht weiter das von den USA und Deutschland vehement befürwortete transatlantische Freihandelsabkommen ablehnen. Außerdem werde man noch vor Ende Februar Kiew für ein Treffen mit Präsident Poroschenko einen Besuch abstatten.

In Figyelő vertritt Edit Inotai die Ansicht, dass sich die Ungarn nicht in einer Position befunden hätten, den russischen Terminvorschlag für das Gipfeltreffen Mitte Februar zurückzuweisen. Putin habe eine Einladung zum Besuch Ungarns seit den Gesprächen Orbáns im vergangenen Jahr in Moskau auf dem Tisch liegen. Die ungarische Seite habe sein Kommen nicht derartig rasch erwartet. Und als er sich nun angekündigt habe, sei ein Nein nicht möglich gewesen. Putins Besuch sei deswegen unangenehm, weil die EU im vergangenen Herbst vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine ein Herunterfahren der politischen Kontakte zu Russland beschlossen hatte. Zwischenzeitlich allerdings hätten sich auch andere EU-Spitzenpolitiker um eine entsprechende Zurückhaltung herumgedrückt, darunter die Präsidenten von Frankreich, Finnland und Österreich, stellt Inotai fest.

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