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„Jobbik 2.0” begreifen?

27. Apr. 2015

In jüngster Zeit bemüht sich Jobbik-Chef Gábor Vona um eine gewisse Neuorientierung seiner Partei in Richtung einer relativ moderaten politischen Kraft frei von jeglichem Rassismus. Kommentatoren fragen sich nun, ob dieser Prozess ernst gemeint sei oder lediglich eine Art Facelift darstelle. Darüber hinaus wird darüber nachgedacht, ob Jobbik bei den in drei Jahren stattfindenden nächsten Parlamentswahlen eine reale Siegeschance habe.

Auf Mandiner vertritt der Philosoph Gábor Kardos die Ansicht, dass der Wandel echt, dauerhaft sowie dem Umstand zu verdanken sei, dass Jobbik bis jetzt höchst unterschiedliche Schichten des ländlichen und urbanen Ungarn repräsentiert habe. Der Autor behauptet sogar, dass Jobbik die Alltagssorgen einfacher Ungarn deutlich direkter aufgreife als die Volksparteien (Fidesz und MSZP – Anm. d. Red.). Linke, gegen Jobbik gerichtete Strategien, seien gescheitert, weil man versucht habe, die Partei als faschistische und rassistische Organisation zu brandmarken. Das erscheine Menschen, die Jobbik-Aktivisten vor Ort erlebt hätten, zu abstrakt und wenig überzeugend. Indem Jobbik einfach nur als „nazistisch“ bezeichnet worden sei, „haben wir einen Teil der heutigen ungarischen Gesellschaft wie hasserfüllte Fremdlinge behandelt, gerade so wie die Extremisten Zigeuner oder Juden behandeln“, meint Kardos. Das gelte um so mehr, seit Jobbik ganz spektakulär versuche, die eigenen Hardliner in den Hintergrund zu drängen und sich auf „bürgerlicher Werte“, anstatt auf Parolen und Ideologien zu konzentrieren.
Der Philosoph hatte den Nachwahlkampf in Tapolca vor Ort beobachtet und beschreibt die Jobbik-Aktivisten als „sexy“. Es handele sich bei ihnen um begeisterungsfähige, schicke junge Leute, die so gar nicht zu den Stereotypen passten, denen zufolge sich die Jobbik-Basis aus Verlierern der ländlich geprägten ungarischen Gesellschaft zusammensetzen und sie verschiedene ethnische Minderheiten für ihren eigenen Misserfolg verantwortlich machen würde. Der Autor fordert die politischen Beobachter auf, „die neue Jobbik zu verstehen“, die gut und gerne die kommenden Wahlen 2018 gewinnen könnte – vorausgesetzt, die übrigen politischen Parteien sollten unfähig sein, an ihrer eigenen Erneuerung zu arbeiten.

Ähnlich äußert sich László Seres auf HVG.hu: „Jobbik-Chef Gábor Vona könnte in drei Jahren der neue ungarische Ministerpräsident werden.“ Allerdings ist Seres mit der von Kardos empfohlenen Therapie nicht einverstanden. Seres sieht den Philosophen „in LMP-Nähe“ und geht nach wie vor davon aus, dass Jobbik einfach zurückgewiesen werden müsse, anstatt die Partei als normalen Partner bei bei Diskussionen über die Zukunft Ungarns zuzulassen. „Es wird schwierig sein, Jobbik mittels friedlicher Diskussionen über die Landwirtschaft oder multinationale Firmen zu schlagen.“ Der Autor vergleicht Jobbik mit der NSDAP Hitlers, die ebenfalls „eine linke Agenda mit rassistischem Anhang“ propagiert habe. Jobbik hasse auch Amerika, Israel, die Globalisierung, die Multis, die Märkte, den Konsum und den Liberalismus. Er bezeichnet das Streben von Jobbik Richtung „Volkspartei“ als geschickten PR-Schachzug – erfunden für die Dümmsten. Seres zitiert radikale Jobbik-Abgeordnete, die offen zugäben, dass zwischen den Hardlinern und der Parteiführung eine Arbeitsteilung existiere und dass es lediglich „die Form der Partei sei, die stromlinienförmiger werde“.

Im inoffiziellen Wochenblatt von Jobbik, Barikád, versichert dessen Chefredakteur und Parlamentsabgeordnete Sándor Pörzse seinen Lesern, dass der Parteichef den harten Jobbik-Kern nicht loswerden wolle. Der Autor erinnert daran, dass Gábor Vona versprochen habe, „Bastard-Sprößlinge abzuschneiden“, was – „absichtlich oder nicht“ – allgemein missverstanden worden sei. Vona werde als jemand fehlinterpretiert, der die „alte Denkrichtung der Ungarischen Garde“ loswerden wolle, fährt Pörzse fort und resümiert: „Es gibt keine alte Denkrichtung à la Garde oder keine neue Denkrichtung à la Jobbik. Neu jedoch ist die Kommunikation.“

Im gleichen Wochenblatt erläutert Mátyás Balczó, dass Jobbik „Zigeuner-Kriminalität“ nach wie vor als ein brennendes Problem betrachte. Auch habe die Partei keineswegs ihre Kritik an Israel aufgegeben. Einige Leute würden fälschlicherweise annehmen, Jobbik sei als eine Nazi-Partei gegründet worden, wobei ihre Führung nunmehr diese extremistische Linie aufgegeben habe, um an die Macht zu gelangen. In Wirklichkeit sei Jobbik niemals eine Nazi-Partei gewesen, obgleich „die Augen einiger ihrer Mitglieder feucht werden, wenn immer sie ein Hakenkreuz sehen“, schränkt Balczó ein und fährt fort: Als Vona geäußert habe, dass sich Rassisten und Antisemiten eine andere Partei suchen sollten, habe er sich auf Rechtsextremisten bezogen, die Jobbik von ihrem ureigenen Kurs abbringen wollten und unfähig zum Aufbau einer eigenen Partei waren. Der Parteichef, so der Barikád-Kommentator abschließend, habe keineswegs diejenigen ausschließen wollen, die „berechtigte Argumente gegen Zigeunerkriminalität oder gar gegen das Eindringen von Israelis nach Ungarn“ vorbringen würden.

Im Wochenmagazin Demokrata kommt der Politologe Tamás Lánczi zu Wort und schreibt, die Erfolge von Jobbik seien darauf zurückzuführen, dass sich die beiden Hauptparteien auf das gegenseitige Bekämpfen konzentrieren würden. Demnach sei es einzig die rechtsextremistische Partei, die nicht unter Beschuss geriete. Der Fidesz habe in diesem Jahr zwei Nachwahlen in Folge verloren, weil die Wähler ihrem Unmut über die Politik der Partei Luft machten wollten. Doch nicht, weil sie einen Regierungswechsel befürworten würden, glaubt Lánczi.
Bei der Analyse früherer Wahlergebnisse im Vergleich zu zurückliegenden Umfrageresultaten kommt der regierungsfreundliche Autor zu dem Schluss, dass unzufriedene Wähler in dem Maße zu ihren ursprünglichen Parteien zurückkehrten, wie der Parlamentswahltermin näherrücke. Im Ungarn der Gegenwart halte eine große Mehrheit Jobbik und die Linksparteien gleichermaßen für nicht regierungsfähig. Deswegen glaubt Lánczi nicht, dass beiden in drei Jahren eine Chance auf den Wahlsieg gegeben sei – vorausgesetzt, der Fidesz und die Regierung begingen keine spektakulären Fehler.

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