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Lage droht außer Kontrolle zu geraten

2. Sep. 2015

Kommentatoren des gesamten politischen Spektrums äußern die Befürchtung, dass der aktuelle Migrationsstrom Europa stetig wachsende Problem bescheren werde, zumal man weit von einer gemeinsamen EU-weiten Lösungsstrategie entfernt sei. Dieses Versagen könne auch die Bewegungsfreiheit innerhalb der Union gefährden.

Am Dienstagmorgen musste der Budapester Ostbahnhof zeitweise komplett geschlossen werden, da immer mehr und immer verzweifeltere Asylsuchende einen der Züge Richtung Westeuropa erwischen wollten. Nach Behördenangaben habe die unkontrollierbare Menge eine Gefahr für die Sicherheit der Bahnreisenden dargestellt. Deshalb wurde angeordnet, dass Züge an kleineren Bahnhöfen in einer gewissen Entfernung zum Stadtzentrum ihren End- beziehungsweise Ausgangspunkt nehmen müssen.

Am Montag hatte die österreichische Polizei alle Züge sowie größere Straßenfahrzeuge gestoppt, um sie nach illegalen Migranten und Menschenschleppern durchsuchen zu können. Das führte zu kilometerlangen Staus und mehrstündigen Verspätungen. Die Behörden Österreichs teilten mit, dass sie 200 Migranten ohne Papiere sowie fünf Schlepper entdeckt hätten. Mit der Bahn reisende Flüchtlinge ohne gültige Papiere durften schließlich nach mehrstündigem Aufenthalt nach Deutschland weiterfahren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte unterdessen in Berlin, sie begrüße es, dass Ungarn gemäß EU-Recht sämtliche in die Schengen-Zone einreisende Migranten ohne Papiere registriert habe. Weiter sagte Merkel, es sei ein Missverständnis, dass Deutschland die Anwendung des Abkommen von Dublin aussetzen und allen syrischen Flüchtlingen Asyl gewähren werde, anstatt sie in Länder zurückzuschicken, in denen sie die Schengen-Zone betreten hätten. Damit präzisierte die deutsche Kanzlerin eine frühere Erklärung ihrerseits.

Sowohl die EU als auch Ungarn würden unter dem Druck der zunehmenden Migration kollabieren, heißt es im Leitartikel auf der Titelseite von Népszabadság zu den österreichischen Polizeikontrollen an der Grenze sowie der Lage von illegalen Migranten in Budapest. Die linksorientierte Tageszeitung bezeichnet es als absurd, dass die EU-Führungsriege zum Thema Migration ideologische Kriege führe, während gleichzeitig das Chaos an den Grenzen und in Transitzonen für Migranten außer Kontrolle gerate. Dieses totale Chaos werde in die Hände von Anti-Einwanderungs-Parteien spielen, befürchtet Népszabadság.

In Népszava äußert auch György Sebes die Sorge, dass wenig Hoffnung auf eine EU-weite Lösung der Migrationskrise bestehe. Der linksorientierte Kolumnist macht allerdings die ungarische Regierung für die aktuelle Situation verantwortlich, denn sie habe sich der Suche nach einer gemeinsamen europäischen Antwort entzogen. Jetzt stehe Ungarn allein da und könne die Situation um die Migranten nicht in den Griff bekommen. Sebes zitiert im Folgenden den französischen Außenminister Laurent Fabius, der Ungarn am Sonntag vorgeworfen hatte, das Land verstoße mit dem Bau des Grenzzaunes gegen grundlegende Menschenrechte sowie europäische Prinzipien. Dazu bemerkt der Kommentator, „unwirksame, aber unmenschliche Vorschläge“ der ungarischen Regierung hätten die Verzweiflung und Wut der den Westen ansteuernden illegalen Migranten verstärkt, anstatt deren Zustrom zu stoppen.

Zsolt Bayer von der Tageszeitung Magyar Hírlap hält den Vorwurf, die ungarische Regierung verstoße gegen EU-Recht, für unsinnig. Der regierungsfreundliche Kolumnist erinnert daran, dass Ungarn eine rechtliche Verpflichtung habe, ohne Papiere in die Schengen-Zone einreisende Migranten am Verlassen des Landes zu hindern. Es wäre für Ungarn viel leichter, diese illegalen Migranten zu ignorieren und sie Richtung Westen weiterreisen zu lassen, deren ersehntem Ziel. Sollten sich doch diese Ungarn kritisierenden Länder um Migranten kümmern, so Bayer.

In Magyar Idők (bisher Napi Gazdaság) kritisiert Imre Czirják die frühere Ankündigung von Angela Merkel, wonach Deutschland sämtlichen Flüchtlingen aus Syrien Asyl gewähren werde. Der konservative Kolumnist gibt zu bedenken, dass diese Worte Merkels Erwartungen bei illegalen Migranten geweckt hätten, die jetzt nicht mehr mit den ungarischen Behörden zusammenarbeiten und fordern würden, dass sie nach Deutschland weiterreisen. Auf die Bemerkungen des französischen Außenministers Fabius eingehend erinnert Czirják daran, dass auch Frankreich am Bau des Zauns in Calais beteiligt gewesen sei. Falls Ungarn Migranten die Weiterreise nach Westeuropa gestatten sollte, würden sehr bald Grenzkontrollen oder sogar Zäune innerhalb der Schengen-Zone durchgeführt bzw. errichtet, argwöhnt Czirják.

Angesichts der Nichtexistenz einer europäischen Migrationsstrategie müssten die einzelnen Mitgliedsstaaten eigenmächtig agieren, kommentiert Roland Balogh in Magyar Nemzet die österreichische Entscheidung, den aus Ungarn kommenden Verkehr zu überwachen. Der konservative Kolumnist verweist darauf, dass immer mehr Parteien eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb der Schengen-Zone fordern würden, da für Migrationsfragen auf EU-Ebene keinerlei Lösungen existierten. In einem Nebensatz erinnert Balogh daran, dass das aktuell Ungarn kritisierende Frankreich 2011 an der Grenze zu Italien ebenfalls Kontrollen eingeführt hatte, um den Strom von Flüchtlingen aus dem vom Krieg erschütterten Libyen aufzuhalten.

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