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Erste Reaktionen auf die Pariser Terrornacht

16. Nov. 2015

Rechtsorientierte Kolumnisten glauben, dass die Terrorangriffe von Paris der liberalen Pro-Migrationsideologie den Todesstoß versetzt haben. Linke und liberale Publizisten dagegen warnen davor, Stimmung gegen Muslime und Einwanderer zu machen. Zudem werfen Sie der politischen Rechten vor, sie spiele in die Hände von Terrororganisationen.

„Neben dem Liberalismus haben auch die führenden Politiker Europas versagt“, kommentiert József György Horváth auf 888. Der regierungsfreundliche Blogger wirft den europäischen Spitzenpolitikern, darunter Angela Merkel, Francois Hollande und Jean-Claude Juncker, vor, sie würden wie „Despoten“ versuchen, die EU-Mitgliedsstaaten zur Aufnahme von Migranten zu zwingen. Laut Horváth würden die Befürworter verbindlicher Flüchtlingsquoten die Ängste und Sorgen der europäischen Durchschnittsbürger nicht verstehen, da sie selbst in sicheren Elfenbeintürmen lebten. „Sie müssen abtreten, Europa braucht neue Führer“, resümiert Horváth.

Im gleichen Blog sieht Dániel Bohár „das Ende der liberalen Gehirnwäsche“ gekommen. Der rechte Kommentator hält es für unmöglich, dass „zuwanderungs- und terrorismusfreundliche liberale Journalisten“ auch künftig behaupten würden, bei sämtlichen Migranten aus dem Nahen Osten handele es sich um bemitleidenswerte Flüchtlinge.

In Magyar Narancs äußert sich PéterUrfi angeekelt von „der Hetze und der Jagd nach Stimmen“ auf Seiten des regierungsfreundlichen Lagers unmittelbar nach den Terrorangriffen in Paris. Der liberale Kolumnist bezichtigt rechtsorientierte Politiker und Publizisten der Anstiftung zum Hass und begründet dies mit deren Behauptung, es existiere ein Zusammenhang zwischen Terrorismus und Migration. Es sei Ekel erregend, dass die migrationsfeindliche Rechte Asylsuchenden die Schuld für terroristische Gewalt in die Schuhe zu schieben versuche. Dabei seien es doch die Asylsuchenden, die vor genau jenen nahöstlichen Terrororganisationen fliehen würden, die das Massaker in Paris veranstaltet hätten. Urfi äußert sogar die These, dass sowohl Fidesz und Jobbik als auch deren intellektuelles Hinterland „nicht nur lügen und die französische Tragödie zur Stimmenjagd missbrauchen, sondern den Terroristen auch unter die Arme greifen“, denn, so argumentiert Urfi, der von ihnen gegen Einwanderer geschürte Hass werde zu einer weiteren Entfremdung gegenüber Muslimen und Immigranten führen.

György Balavány bezeichnet es als sehr unerfreulich, dass viele in den sozialen Medien die Terrorangriffe mit der Migration in Zusammenhang bringen und behaupten würden, dass Asylsuchende eine Bedrohung für die europäische Sicherheit seien. In Heti Világgazdaság äußert der Autor die Vermutung, dass Terrororganisationen viele Anhänger unter radikalen einheimischen Bevölkerungskreisen in Europa hätten. Sie seien keineswegs auf die in jüngster Zeit angekommenen Migranten angewiesen, von denen die meisten ehedem vor dem nahöstlichen Terror zu fliehen versuchten.

„Wir müssen lernen, mit der terroristischen Bedrohung zu leben“, empfiehlt Márton Bede auf 444. Er geht davon aus, dass sich die westliche Welt seit 2001 mit dem radikalen Islam im Kriegszustand befinde. Während dieser Krieg gegen eine gefährliche Ideologie nicht gewonnen werden könne, habe es der Terror bislang nicht vermocht, sein Ziel einer Umgestaltung der freien Welt zu erreichen. Westliche Staaten müssten allerdings künftig ihre Sicherheitsmaßnahmen verschärfen, darunter eine strenge Überprüfung von nach Europa kommenden Migranten und Asylsuchenden, notiert Bede.

„Nach den Terrorangriffen in Paris werden sich die immigrationskritischen Gefühle noch weiter verschärfen“, sagt András Dési in Népszabadság voraus. Der linksorientierte Kolumnist befürchtet, dass Populismus und eine Law-and-Order-Politik auf weite Teile der europäischen Bevölkerung zwangsläufig immer anziehender wirken würden.

Die Terroristen hätten es auf unseren Lebensstil abgesehen, konstatiert Márton Gergely in der selben Tageszeitung. Als Folge der wachsenden Terrorgefahr habe es Europa mit einem Paradoxon zu tun: Die europäischen Staaten könnten sich vor terroristischer Gewalt nur durch rigorose Anti-Terror- und Sicherheitsmaßnahmen schützen, die der europäischen Lebensweise fremd seien, notiert Gergely.

„Die Schließung der europäischen Grenzen, Rassismus und ein Religionskrieg seien angesichts terroristischer Bedrohungen keine Lösungskonzepte“, erklärt Zsolt Kellner auf 24.hu. Der liberale Kommentator empfiehlt, dass die Staaten Europas mehr für die Integration von Migranten tun müssten, denn in Vorstadtghettos lebende Muslime ohne angemessene Arbeits- und Ausbildungschancen würden zur leichten Beute radikaler Anwerber.

In einem separaten Meinungsbeitrag auf dem gleichen Internetportal stellt Sándor Jászberényi fest: Bei den Verursachern des Pariser Massakers habe es sich um nicht integrierte, marginalisierte Bürger Frankreichs aus den Banlieues gehandelt. Mit dem Massaker von Paris hätten dschihadistische Terrororganisationen vor allem ein Ziel verfolgt, nämlich das Auslösen und Aufrechterhalten von gegen Muslime gerichteten Stimmungen in Europa. Da muslimfeindliche Gefühle zunehmen würden, „werden die Muslime zu den Niggern Europas“, sagt Jászberényi voraus. Das wiederum werde in die Hände des islamistischen Radikalismus spielen, denn je stärker muslimfeindliche Gefühle und Vorurteile in Europa zunehmen würden, um so leichter werde es [Islamisten] fallen, aus den Reihen entfremdeter und ausgegrenzter europäischer Muslime neue Mitglieder zu rekrutieren. Abschließend drückt Jászberényi seine Sympathie gegenüber Asylsuchenden aus, die nunmehr „einzig noch auf die Gnade Gottes setzen können“, weil Europa ihnen keinerlei Hilfe anbieten dürfte.

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