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Im Gedenken an Imre Pozsgay

29. Mar. 2016

Die Nachrufe für den vergangene Woche verstorbenen ehemaligen Staatsminister Imre Pozsgay zeichnen das Bild eines Mannes, der beim Prozess des Systemwechsels im Ungarn der späten 1980er Jahre eine entscheidende Rolle gespielt hatte, aber nach den ersten freien Wahlen (1990) ins politische Abseits geraten war.

Der Vertreter der kommunistischen Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei Imre Pozsgay habe sich am den ungarischen Einparteienstaat stürzenden Runden Tisch nicht als Hindernis, sondern vielmehr als Instrument für Veränderungen erwiesen, schreibt Szabolcs Szerető im Nachruf von Magyar Nemzet. Anfang der 1990er Jahre allerdings sei Pozsgay infolge seines Austritts aus der Sozialistischen Partei in dem vergeblichen Versuch, mit Anhängern des Dritten Weges eine erfolgreiche Linkspartei zu etablieren, politisch gescheitert. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner ehemaligen Genossen habe Pozsgay auch aus Privatisierungen kein Kapital geschlagen, unterstreicht Szerető in der konservativen Tageszeitung und konstatiert: Seine politische Laufbahn sei unvollendet geblieben, da er möglicherweise 1989 den entscheidenden Augenblick verpasst habe, den Reformflügel der Kommunisten in eine neue politische Kraft umzuwandeln.

Imre Pozsgay war eine Symbolfigur des Reformflügels der ehemaligen MSZMP. Der einstige Staatsminister verstarb am Karfreitag im Alter von 82 Jahren. Ende der 1980er Jahre hatte er sich aktiv für Bedingungen eingesetzt, die in der Folge den friedlichen Übergang zur Demokratie ermöglichen sollten. So war er 1987 der einzige hochrangige Funktionär, der am ersten Treffen des Ungarischen Demokratischen Forums (MDF) in Lakitelek teilnahm. Damit wurde er praktisch zu einer Art Geburtshelfer für eine politische Bewegung, die 1990 siegreich aus den ersten demokratischen Wahlen nach der Wende hervorging. 1989 war er der erste Spitzenpolitiker der Staatspartei, der die revolutionären Ereignisse vom Oktober/November 1956 als „Volksaufstand“ bezeichnete. Dies bedeutete einen symbolischen Akt, der den Niedergang des kommunistischen Systems drastisch beschleunigte. Als beliebtester Politiker jener Monate hätte er gute Aussichten gehabt, zum ersten Präsidenten des postkommunistischen Ungarns gewählt zu werden. Seine entsprechenden Ambitionen scheiterten jedoch an einem Referendum, bei dem entschieden wurde, dass Wahlen für das Amt des Staatspräsidenten erst nach den ersten freien Parlamentswahlen stattfinden sollten. 1990 wurde Pozsgay ins Parlament sowie zum Vorsitzenden der sozialistischen Fraktion gewählt, verließ aber noch im selben Jahr die MSZP und gründete eine neue Partei, die jedoch bei den Wahlen 1994 mit 0,5 Prozent der Stimmen am Einzug in das Parlament scheiterte. Danach zog sich Pozsgay praktisch aus dem politischen Leben zurück. Im folgenden Jahrzehnt jedoch wurde er als Berater und in symbolischen Funktionen zu einem engen Verbündeten des amtierenden Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

„Er war ein untypischer Funktionär, ein Volksmärchenheld des kommunistischen Politiksystems“, urteilt Judit N. Kósa in ihrem Nachruf auf Imre Pozsgay. Nach der Wende wäre er höchstwahrscheinlich zum Staatschef avanciert, wenn ihm das MDF im Zusammenspiel mit dem liberalen SZDSZ nicht den Weg Richtung Präsidentschaft blockiert hätte, so Kósa in Népszabadság. Nach seinem Scheitern mit einer Art alternativen politischen Kraft habe er sich im politischen Abseits wiedergefunden. Zwei Jahrzehnte später habe er dann seine durch Viktor Orbán erfolgte Berufung in den Ausschuss zur Erarbeitung einer neuen Verfassung höchstwahrscheinlich als so etwas wie eine Wiedergutmachung erlebt, mutmaßt Kósa.

„Er war kein sehr schlauer Mann, kein sehr anständiger Mann, aber für eine gewisse Zeit war er ein großer Mann“, schreibt Miklós Tamás Gáspár auf hvg.hu. Der Philosoph betont, dass es sich bei Pozsgay jahrzehntelang um einen Vertreter eines Superstaates gehandelt habe. Den kommunistischen Spitzenmann hätten überwiegend Karrierestreben und Konformismus getrieben, behauptet Tamás Gáspár. Dessen ungeachtet räumt er ein, dass Pozsgay unter den Politikern der KP der einzige gewesen sei, der bei der Wende eine wirklich aktive Rolle gespielt habe.

Im Nachruf für die regierungsnahe Magyar Idők verweist Dávid Megyeri auf die interessante Tatsache, dass Liberale über die Vorleben von alten kommunistischen Granden den Mantel des Stillschweigens gebreitet hätten. Mit Blick auf Imre Pozsgay sei dies aber unterblieben. Es seien die politischen Ansichten Pozsgays über einen Dritten Weg sowie das Vaterland gewesen, die sie nicht hätten tolerieren können, behauptet der Autor. Diese Haltung verbinde extreme Linksliberale und radikale Rechtspopulisten in einer eigenartigen Koalition des Hasses gegen Pozsgay, beobachtet Megyeri.

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