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Verfassungsgericht verlangt neues Versammlungsrecht

14. Jul. 2016

Kommentatoren und Experten streiten über die Frage, ob das aktuell in Ungarn gültige Versammlungsrecht novelliert werden müsse. Hintergrund ist ein Urteil des obersten Gerichts, wonach die Polizei vor zwei Jahren mit dem Verbot einer vor dem Privathaus von Ministerpräsident Viktor Orbán geplanten Demonstration nicht gegen die ungarische Verfassung verstoßen habe.

Laut dem am Dienstag vom Verfassungsgericht verkündeten Urteil hatten die Behörden den potenziellen Demonstranten keine unnötige Einschränkung der Versammlungsfreiheit auferlegt und auch nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Ursprünglich sollte vor dem Haus des Ministerpräsidenten die rückwirkende Annullierung von Fremdwährungskreditverträgen gefordert werden. Die Demonstranten, so das Gericht, hätten reichlich Gelegenheit gehabt, andernorts ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, ohne dabei die Privatsphäre bestimmter Personen zu verletzen. Das Verfassungsgericht forderte das Parlament jedoch auf, ein neues Gesetz auszuarbeiten, das die derzeit widersprüchlichen Bestimmungen zur Versammlungsfreiheit und zum Recht auf Privatsphäre in Einklang bringe. Die Regierung kündigte an, bis Ende des Jahres eine entsprechende Gesetzesnovelle vorzulegen.

In ihrem Leitartikel auf der Titelseite hält es Népszabadság für fragwürdig, dass das Verfassungsgericht „die Interessen von Ministerpräsident Orbán geschützt hat“, dessen Amtsvorgänger hingegen Demonstrationen vor ihren Häusern hätten tolerieren müssen. Die führende Tageszeitung des linken Spektrums bezeichnet das Urteil als „Schwindel“ und vermutet politische Erwägungen dahinter. Sarkastisch notieren die Autoren: Sollte die Argumentation des Verfassungsgerichts ernst genommen werden, würden Demonstrationen nur noch an komplett menschenleeren Orten stattfinden dürfen.

In Magyar Nemzet erinnert auch Miklós Ugró daran, dass Demonstrationen vor den Häusern früherer Ministerpräsidenten erlaubt gewesen seien. Zudem fragt er sich, ob aus dem Richterspruch nunmehr zu folgern sei, dass sämtliche Protestveranstaltungen der vergangenen Jahre die Rechte unbeteiligter Zuschauer verletzt hätten.

Das im Frühjahr 1989 eilig verabschiedete Gesetz über die Versammlungsfreiheit sei ein Durchbruch gewesen und niemand habe sich damals um komplexe Feinheiten geschert, schreibt Miklós Szántó in Magyar Idők. Es sei nunmehr höchste Zeit zu entscheiden, unter welchen Umständen eine Demonstration verboten werden könne – so zum Beispiel, um Gerichte vor unangemessenem öffentlichen Druck zu schützen.

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