Entries RSS Feed Share Send to Facebook Tweet This Accessible version

Schlussplädoyers vor dem Referendum

3. Oct. 2016

Einen Tag vor dem Referendum zu verpflichtenden europäischen Migrantenquoten unternahmen die Kolumnisten einen allerletzten Versuch, die Öffentlichkeit von der besten Verfahrensweise zu überzeugen. Zur Wahl stehen: Ja-, Nein- und ungültige Stimme sowie das Fernbleiben.

In Hetek erklärt der frühere liberale Parlamentsabgeordnete Péter Hack, warum er und seine christlich evangelikale Hit Gyülekezete (Glaubensgemeinde) sich für ein „Nein“ beim Referendum entschieden haben. Zur selben Zeit vergangenes Jahr sei Ministerpräsident Orbán der einzige europäische Spitzenpolitiker gewesen, der die Länder dazu gedrängt habe, Europas Außengrenzen zu schützen, erinnert Hack. Heute würden praktisch alle führenden Politiker des Kontinents diesen Standpunkt vertreten. In der Zwischenzeit bereite sich Österreich darauf vor, einen Zaun entlang der Grenze zu Ungarn aufzustellen. Großbritannien wiederum baue eine Mauer im Bereich des französischen Eurotunneleingangs. Hack geht davon aus, dass sich die europäischen Eliten selbst als eine aufgeklärte Gruppe betrachten würden, die besser über die Bedürfnisse europäischer Nationen Bescheid wüssten als die in ihnen lebenden Menschen. Er bezeichnet diese Einstellung als „bolschewistisches Verhalten“, denn es bedeute, dass die heutigen europäischen Eliten die Menschen mit tiefer Geringschätzung betrachten und jenen Populismus vorwerfen würden, die sich auf die Meinung der Bevölkerung beriefen. Hack hält es hernach für angemessen, mit „Nein“ zu stimmen und damit Unterstützung für eine neue Konzeption der europäischen Integration auszudrücken.

Auf Mandiner bekundet Brigi Kiss Neidgefühle für all jene, die keinerlei Reue oder ein schlechtes Gewissen angesichts der bemitleidenswerten Menschen empfinden würden – Menschen auf der Flucht vor Gräueltaten oder direktem Krieg. Sie selbst befinde sich im Zwiespalt, denn sie halte es für nicht hinnehmbar, Hunderttausenden die Überquerung einer Grenze nach der anderen zu gestatten, ohne dabei von europäischen Behörden überprüft zu werden. Deshalb glaube sie, dass eine gründliche Diskussion über das höchst wichtige Thema der massenhaften Einwanderung nach Europa notwendig gewesen wäre. Da diese jedoch nicht stattgefunden habe, könne sie weder mit „Ja“ noch mit „Nein“ stimmen und habe sich entschieden, eine ungültige Stimme abzugeben, bekennt Kiss abschließend.

In einem ungewöhnlichen, weil üblicherweise gezeichneten Leitartikel argumentiert 168 Óra gegen die Abgabe von ungültigen Stimmen, handle es sich doch um eine zu komplizierte Methode, um von vielen Wählerinnen und Wählern befolgt zu werden. Die linksliberale Wochenzeitung verweist darauf, dass es bei dem Referendum einzig und allein darauf ankomme, ob die Beteiligung das notwendige Quorum von 50 Prozent erreichen werde. Deshalb würde eine Ja-Stimme der Regierung in die Hände spielen. Ein Stimmenverzicht sei die offensichtliche Wahl derer, die die Politik der Regierung ablehnten, schreiben die Leitartikler. Dabei sei die Abgabe einer ungültigen Stimme gar nicht so einfach, denn die Regeln seien maßgeschneidert, um so wenig Personen wie möglich von der Wahl auszuschließen. Der einzig sichere Weg sei deshalb, sowohl beim Ja- als auch beim Nein-Feld den Haken zu setzen. All jenen, die sich empörten, weil „das Land in den letzten Monaten vollkommen unbewohnbar gemacht wurde“, empfiehlt 168 Óra als beste Lösung, daheim zu bleiben.

In ähnlicher Manier verurteilt auch Népszabadság die Idee des Referendums, erkennt aber an, dass es Demokraten in ein ernsthaftes Dilemma stürze, denn Plebiszite seien „die heiligste Institution“ der Demokratie. „Die meisten von uns“, fährt die führende Tageszeitung des linken Spektrums fort, wollten ihre Ablehnung dieser „Demokratie-Farce“ ausdrücken, indem sie dem Referendum fernblieben. Andere wiederum fühlten sich dazu berufen, ihre Unterstützung für die Prinzipien der öffentlichen Souveränität durch ihre Teilnahme auszudrücken, und gleichzeitig eine ungültige Stimme abzugeben. Für Népszabadság sind beide Lösungen legitim. Sie drückten eine „tiefe Verachtung“ gegenüber dem „schmutzigen und unverantwortlichen Spiel der Regierung“ aus.

Szabolcs Dull von Index versichert Wählern des linken Spektrums, dass Ängste vor einer groß angelegten Wahlmanipulation unbegründet seien. (Entsprechende Befürchtungen waren laut geworden, als sich herausstellte, dass die Linksparteien in gut ein Drittel der Wahllokale keine Beobachter schicken würden – Anm. d. Red.) Dull listet fünf mögliche Fälle von Unregelmäßigkeiten auf, von denen alle – sollten sie publik werden – Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren nach sich ziehen würden. Und keiner könne unbeobachtet von verschiedenen Personen ausgeführt werden. Alles in allem müssten Tausende von Menschen konspirieren, um die Ergebnisse der Wahl merklich zu verändern. Dull rät der Öffentlichkeit deshalb, keine übertriebenen Bedenken zu entwickeln.

In seiner regelmäßigen Kolumne für Magyar Nemzet ist Albert Gazda überzeugt, dass die Regierungsseite ungeachtet des Ergebnisses den Sieg für sich beanspruchen werde, denn die Zahl der Nein-Wähler werde mit Sicherheit erheblich höher ausfallen als die der für den Fidesz bei den letzten Wahlen abgegebenen Stimmen. Jobbik werde nicht von den Ja-Stimmen profitieren können, für die sich die Partei im Wahlkampf stark gemacht habe, denn diese würden im Meer der Nein-Stimmen untergehen, meint Gazda weiter. Seiner Ansicht nach werden die Linksparteien, die für eine Nichtteilnahme an der Abstimmung plädiert hatten, zu den Verlierern gehören, denn sie könnten jene, die der Urne fernblieben, nicht für sich reklamieren. Die winzige liberale Partei wiederum könnte etwas gewinnen, denn sie könnte berechtigterweise behaupten, die begrenzte Anzahl an Ja-Stimmen ginge auf ihr Konto. Der wirkliche Gewinner jedoch sollte die Partei des doppelschwänzigen Hundes sein, „die sich zuletzt als einzig funktionsfähige Oppositionskraft entpuppt und mit ihrer witzigen Plakatkampagne für ungültige Stimmen geworben hat“. Diese praktisch nicht existierende Partei könne die meisten ungültigen Stimmen für sich beanspruchen, meint Gazda abschließend

(Nach Auszählung fast aller Stimmen ergibt sich folgendes Ergebnis:
Ja-Stimmen – 1,67%
Nein-Stimmen – 98,33%
gültige Stimmen – 40,41%
ungültige, bzw. nicht abgegebene Stimmen – 59,59%
Da die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen das notwendige Quorum von mindestens 50% nicht erreichen konnte, ist die Volksabstimmung ungültig. Quelle: Nationales Wahlbüro)

Tags: