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Streit um die „offene Gesellschaft” – und ihre Kritiker

24. Apr. 2017

Vergangene Woche hat das ungarische Parlament die Lesung eines Gesetzes über ausländisch finanzierte Nichtregierungsorganisationen begonnen. Vor diesem Hintergrund diskutieren Publizisten aller Couleur das Konzept der „offenen Gesellschaft” – einem häufig vom ungarisch-amerikanischen Finanzier George Soros beschworenen Ideal. Dabei beleuchten die Autoren auch den Zustand und die politische Rolle von in Ungarn tätigen NGOs.

Am vergangenen Mittwoch hat das Parlament in Budapest die Debatte eines Gesetzes aufgenommen, das vom Ausland mit mehr als 7,2 Millionen Forint (umgerechnet etwa 23.000 Euro) jährlich geförderte NGOs dazu verpflichten würde, sich als durch ausländisches Kapital finanzierte Organisationen registrieren zu lassen. Darüber hinaus müsste dieser Status drei Jahre lang auf sämtlichen ihrer Veröffentlichungen angegeben werden. In den erläuternden Kapiteln der Vorlage heißt es, das neue Gesetz solle für Transparenz sorgen sowie die Sicherheit und Souveränität Ungarns gegenüber ausländischen Interessengruppen und Terrororganisationen schützen. Die Opposition verurteilt die Gesetzesinitiative als einen Verstoß gegen grundlegende demokratische Rechte und wirft der Regierung vor, sie versuche ihre Kritiker mundtot zu machen. Der Präsident des ungarischen Amtes für Datenschutz und Informationsfreiheit, Attila Pétertfalvi, hat unterdessen angeregt, dass sich nicht nur von Ausland finanzierte NGOs, sondern auch mit einheimischen privaten beziehungsweise öffentlichen Gelder ausgestattete Organisationen an diese Regeln halten sollten. Nach Angaben des für das Amt des Regierungschefs zuständigen Ministers János Lázár wird sich seine Regierung mit diesem Vorschlag befassen.

Die Regierung verfolge lediglich ein Ziel, konstatiert Péter Megyeri auf dem Informationsportal 444. Es bestehe in der Stigmatisierung von ihr gegenüber kritisch eingestellten NGOs. Der liberale Kommentator erkennt eine Parallele zwischen dem vorgeschlagenen Gesetz sowie den restriktiven und undemokratischen Vorschriften, die in Russland tätige NGOs beträfen. Es sei absurd zu behaupten, dass das neue Gesetz aufgrund sicherheitspolitischer Erwägungen erforderlich wäre. Vielmehr habe die Regierung die klare Absicht, NGOs mit Hilfe der Kennzeichnung als ausländische Agenten in Verruf zu bringen. Und indem dies geschehe, würde auch ihr kritischer Ansatz vorausschauend diskreditiert, schlussfolgert Magyari.

Auf Szuverén identifiziert Balázs Gergely Tóth das Ungarische Helsinki-Komitee, Transparancy International, die Gesellschaft für Freiheitsrechte sowie andere Organisationen der zivilgesellschaftlichen Kontrolle als die Hauptadressaten der Gesetzesinitiative. Der liberale Menschenrechtsaktivist lobt diese Organisationen. So werde ihre Mission als den Interessen der demokratischen Öffentlichkeit und Gesellschaft dienend anerkannt. Man können mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Regierung NGOs zum Schweigen bringen wolle. Vor diesem Hintergrund könne der Gesetzentwurf nur als ein Versuch verstanden werden, die Herrschaft des Rechtes sowie der Transparenz zu schwächen, warnt Tóth abschließend.

Tamás Torba interpretiert „den Angriff auf die CEU und ausländische finanzierte NGOs“ als einen klaren Hinweis darauf, dass Ministerpräsident Orbán westlichen Werten den Rücken zukehre. In Magyar Nemzet spekuliert Torba sogar darüber, dass diese Projekte Vorboten des Orbánschen Plans seien, Ungarn aus der EU heraus zu führen.

Ebenfalls in Magyar Nemzet befindet Szabolcs Szerető: „Die Auseinandersetzung um die CEU und die NGOs ist ein Kampf von Halbwahrheiten.“ Der konservative Kolumnist hält die Annahme für wohlfeil, dass es sich bei George Soros um einen Aktivisten handele, dem es ausschließlich um demokratische Werte anstatt um seine eigenen wirtschaftlichen Interessen gehe. Doch gleichzeitig sei die von der Regierung gegenüber George Soros an den Tag gelegte Voreingenommenheit ebenfalls stark übertrieben. Wenn man das Soros-Netzwerk als eine im Hintergrund aktive verborgene Macht bezeichnen könne, dann sollten die von der Regierung finanzierten NGOs im gleichen Sinne tituliert werden, gibt Szerető zu bedenken.

Gergely Kiss von der Tageszeitung Magyar Idők äußert die Vermutung, dass die Opposition gar keine andere Wahl habe, als den Versuch zu unternehmen, mittels Panikmache in Sachen CEU und NGOs gegen die Regierung mobil zu machen. Da es der ungarischen Wirtschaft gut gehe, versuchten die Oppositionsparteien Unmut zu schüren, indem sie der Regierung Korruption sowie die geplante Schließung der CEU vorwerfen würden.
George Soros habe erkannt, dass die regierungskritischen Proteste die CEU kaum würden retten können, schreibt György Pilhál in der gleichen Tageszeitung. (Am Freitag war bekannt geworden, dass Soros bis Ende April mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie drei weiteren EU-Kommissaren zusammentreffen werde. Dabei soll dem Vernehmen nach das Schicksal der Central European University zur Sprache kommen – Anm. d. Red.) Laut Pilhál sind die Soros-Leute mit einer Mobilisierung der Ungarn gegen die Regierung gescheitert. Nunmehr würden sie per geänderter Taktik den Versuch unternehmen, die Regierung über Brüssel unter Druck zu setzen, behauptet der Kommentator.

In Magyar Hárlap macht Károly Lóránt den Anti-Nationalismus als den zentralen Wert der Idee einer offenen Gesellschaft aus. Der regierungsnahe Ökonom führt die Aversion von Karl Popper und George Soros gegenüber nationaler Solidarität auf ihre Verfolgung durch die Nazis zurück. Demnach „gründet die Vorstellung von einer offenen Gesellschaft in jüdischen Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Nationalismus“. In den Augen Lóránts erklärt dies auch, weshalb George Soros und sein Netzwerk kosmopolitische Ideen und zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit Hilfe einer Schwächung der nationalen Souveränität befördern würden.
Um die Ideologie von der offenen Gesellschaft herauszufordern, müsse man eine alternative Vision ins Spiel bringen, und zwar eine Vision, die einerseits Mehrheiten bei der Verteidigung ihres kulturellen Erbes sowie der nationalen Souveränität helfe, aber auch gleichzeitig nicht assimilierten, doch sozial integrierten Minderheiten Garantien für die Bewahrung ihrer eigenen kulturellen Identität böte. Lóránt schließt mit dem Hinweis, dass die Regierung ein eigenes NGO-Netz benötigen würde, um diese alternative Perspektive zu forcieren und die Idee von der offenen Gesellschaft in Frage zu stellen.

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