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Streit um die Geschlechterforschung

13. Aug. 2018

Die Regierung hat vorgeschlagen, die Akkreditierung von Studiengängen auf dem Feld der Geschlechterforschung aufzuheben. Angesichts dieser Tatsache werfen linke und liberale Experten den Regierenden eine ideologisch motivierte Einmischung in die Hochschulbildung vor. Konservative Kommentatoren sind geteilter Meinung über das vorgeschlagene Verbot.

Am Donnerstag hat das Ministerium für Humanressourcen einen Verordnungsentwurf in Umlauf gebracht, dessen Umsetzung die Akkreditierung von MA-Studiengängen im Bereich Geschlechterforschung annullieren würde. Die Universitäten hatten 24 Stunden Zeit, um auf den Entwurf zu reagieren. Programme der Geschlechterforschung werden aktuell von zwei Universitäten, der ELTE sowie der CEU, angeboten. Das Ministerium für Humanressourcen begründete seine Entscheidung damit, dass die Ausbildung in der Geschlechterforschung wirtschaftlich nicht gerechtfertigt sei und sowieso kein entsprechender öffentlicher Bedarf existiere. Die ELTE hat angekündigt, dass sie die Entscheidung des Ministeriums akzeptieren und sich an die neue Verordnung halten werde. Regierungspolitiker haben in der Vergangenheit immer wieder klargestellt, dass die Geschlechterforschung eher als ideologische Indoktrination denn als sinnvolle Hochschulausbildung anzusehen sei und ihre Kerndoktrinen im Widerspruch zu den Werten der Regierung stünden.

In einem Artikel für Heti Világgazdaság wirft Dávid Dercsényi der Regierung vor, die Geschlechterforschung aus ideologischen Erwägungen einstellen zu wollen. Der linksliberale Kolumnist behauptet, dieser Schritt sei vom Bestreben der Regierung motiviert, ihr Bekenntnis zu traditionellen christlichen Werten zum Ausdruck zu bringen und ihre anti-multikulturelle und gegen die Einwanderung gerichtete Haltung zu unterstreichen. Dercsényi äußert die Vermutung, dass die Regierung auch Abtreibungen im Namen christlicher Werte verbieten würde, würde sie keinen öffentlichen Aufruhr zu befürchten haben.

Auf dem linksliberalen Nachrichtenportal 24.hu interpretiert Attila Kálmán den Verordnungsentwurf als Waffe im Kulturkampf der Regierung. Durch die Verunglimpfung der Geschlechterforschung und des Feminismus erschaffe sich die Regierung einen imaginären Feind. Sie können dann behaupten, mit ihrem Vorgehen gegen diesen Feind würde sie die Ungarn vor zerstörerischen westlichen progressiven Ideologien schützen. Kálmán charakterisiert diese Strategie als ein gemeinsames Merkmal populistischer Rechtsparteien.

„Ich hoffe, das sind alles Fake News“, kommentiert Gábor Bencsik den Verordnungsentwurf auf Facebook. Der konservative Publizist hält es für wissenschaftlich relevant und gesellschaftlich wichtig, die Rolle des biologischen Geschlechts in der Gesellschaft zu erforschen. Ohne die Auswirkungen des Geschlechts zu kennen, sei es nicht möglich, die Geburtenrate zu erhöhen und die familiäre Liebe wiederherzustellen. Bencsik räumt ein, dass einige Disziplinen der Geschlechterforschung radikalen feministischen und extrem liberalen Ideologien folgen würden, hält jedoch die meisten Fachbereiche der Geschlechterforschung für wertvoll. Er ruft die christlich-konservativen Intellektuellen auf, „die Regierung vor einer unklugen Entscheidung zu bewahren“.

Tamás Pilhál vom regierungsnahen Portal Pesti Srácok begrüßt den Plan des Kabinetts, „die Universitäten von Gender-Agitatoren zu befreien“. Der Blogger vertritt die Auffassung, dass Geschlechterstudien überhaupt nicht hätten akkreditiert werden dürfen. Pilhál widerspricht Bencsik und vergleicht die Fakultäten für Geschlechterforschung mit „satanistischen Sekten“. Es sei unwahrscheinlich, dass die Geschlechterforschung uns bei dem Bemühen unter die Arme greife, „unsere Fortpflanzungsfähigkeit wiederzuerlangen“. Die Geschlechterforschung sei eine „modische westliche Dummheit“. Pilhál weist unter Bezugnahme auf einschlägige Forscher darauf hin, dass die Ausbildung im Bereich Geschlechterforschung tatsächlich versuche, die gesellschaftliche Akzeptanz von und Toleranz gegenüber Homosexualität und sogar gegenüber Methoden der Geschlechtsumwandlung zu fördern.

Győző Mátyás hält die Behauptung, die Geschlechterforschung würde transsexuelle Normen befördern, für absurd. Der linksorientierte Kolumnist von 168 Óra stellt fest, dass die Geschlechterforschung der wissenschaftlichen Erforschung der Konstruktionsweise von Geschlechterrollen innerhalb der Gesellschaft diene. Allerdings, so räumt Mátyás ein, würden einige zeitgenössische radikale Feministinnen wie Andrea Dworkin und Judith/Jack Halberstam „haarsträubende“ Ideen vertreten und Geschlechterstudien für „dogmatische“ politische Zwecke missbrauchen. Mátyás meint jedoch, dass starke, offene Gesellschaften die Diskussion solcher Ideen tolerieren könnten. Einzig autoritäre Regimes wollten sie verbieten.

In einem Facebook-Eintrag bezeichnet András Stumpf den Plan der Regierung, die Geschlechterforschung zu verbieten, als ekelhaft. Der konservative Publizist hält Transgender-Identitäten für lächerlich und beschreibt den Gedanken, das biologische Geschlecht sei vollständig sozial konstruiert, als absurd. Dennoch warnt er vor einer, wie er es nennt, „bolschewistischen Tradition“ eines Eingriffs in die institutionelle Freiheit in der Bildung.

Fruzsina Skrabski stimmt mit der Regierung darin überein, dass Kultur und Wissenschaft von einer liberalen Minderheitenideologie beherrscht würden. Doch hält es die konservative Kolumnistin auch nicht für erstrebenswert, dass die Regierung die liberale Hegemonie durch Erlasse brechen wolle. Stattdessen fordert Skrabski eine offene Diskussion zwischen konservativen Fachleuten der Bevölkerungswissenschaft und Professoren der Geschlechterforschung.

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