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Orbán über Ungarns türkische Wurzeln

10. Sep. 2018

Liberale Kommentatoren kritisieren Viktor Orbán heftig für seine Behauptung, die ungarische Nation verfüge über türkische Wurzeln. Ein regierungsfreundlicher Kolumnist hingegen begrüßt die Tatsache, dass der Ministerpräsident das verwandschaftliche Verhältnis und die Zugehörigkeit Ungarns zum Osten anerkannt habe.

Vergangene Woche stattete Ministerpräsident Viktor Orbán Kirgisistan einen Besuch ab. Zweck der Reise war die Teilnahme des ungarischen Regierungschefs am Gipfel des Kooperationsrates der türkischsprachigen Staaten sowie die Eröffnung der Olympiade nomadischer Völker (World Nomad Games). In seinen im Laufe der Visite gehaltenen Reden erklärte der Gast aus Budapest, dass die ungarische Nation „auf Fundamenten hunnisch-türkischer Herkunft“ stehe und Ungarisch mit den Turksprachen verwandt sei. Orbán betonte zudem, dass Ungarn die Bewahrung seiner nationalen Identität für wichtig halte – etwas, das im Westen für weniger bedeutungsvoll angesehen werde.

Magyar Narancs interpretiert im Leitartikel auf Seite eins die Aussagen von Ministerpräsident Orbán über die türkische Herkunft der Ungarn als Hinweis auf die antidemokratischen Neigungen seines Kabinetts. Die liberale Wochenzeitung behauptet, dass das Ziehen einer Verbindungslinie zwischen der ungarischen Abstammung und dem türkischen Volk einen eklatanten Angriff auf die wissenschaftlich nachgewiesene Wahrheit darstelle. Im 20. Jahrhundert seien es rechtsextreme politische Bewegungen gewesen, die die gängige wissenschaftliche Ansicht, wonach das Ungarische zur finnougrischen Sprachfamilie gehöre, in Frage gestellt hätten, erinnert Magyar Narancs und äußert die Vermutung, dass Ministerpräsident Orbáns Gerede von der Verwandtschaft Ungarns mit dem türkischen Volk die antiwestlichen Haltungen und Hoffnung seiner Regierung auf den Aufstieg von Diktaturen des östlichen Typus unterstreichen solle.

Auch János Széky erkennt hinter den Worten von Ministerpräsident Viktor Orbán über die türkischen Wurzeln der Ungarn politisches Kalkül. In der Wochenzeitung Élet és Irodalom erinnert der liberale Kolumnist daran, dass Orbán noch vor fünf Jahren von den finnougrischen Sprachursprüngen Ungarns gesprochen habe. Seine Hinwendung zu türkischen Ursprungsmythen zeige, dass die Regierung inzwischen selbst grundlegende Tatsachen ignorieren würde, moniert Széky. Die Regierung wolle einen neuen kulturellen Kanon samt einer neuen nationalen Identität kreieren, um die bisherigen zu ersetzen, spekuliert Széky und fragt sich, wann wohl die Geschichtsbücher im Tenor der Äußerungen des Ministerpräsidenten zur türkischen Verwandtschaft des Landes umgeschrieben würden.

András Bencsik begrüßt die Entscheidung von Ministerpräsident Orbán, endlich die skythische Herkunft des ungarischen Volkes anzuerkennen. Der regierungsfreundliche Kolumnist und Chefredakteur von Magyar Demokrata vermutet, dass sich die östliche Verwandtschaft zu einem immer wertvoller werdenden Gut entwickeln dürfte, da man den Ungarn stets beigebracht habe, in dieser Welt auf sich allein gestellt zu sein. Der nächste internationale Auftritt von Ministerpräsident Orbán werde seine Anwesenheit bei der Debatte über den Sargentini-Bericht im Europäischen Parlament sein. In diesem Gremium werde sich das Kräfteverhältnis nach den Europawahlen 2019 ändern, da eine neue Gruppe von Kräften, die an nationale Traditionen glauben würden und nicht am Niedergang des Westens teilhaben wollten, von Tag zu Tag stärker werde, schreibt Bencsik.

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