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Streit mit der EU – und kein Ende

24. Sep. 2018

Kommentatoren aller Couleur erörtern die Entscheidung der Europäischen Volkspartei, ihr ungarisches Mitglied Fidesz nicht auszuschließen. Darüber hinaus beschäftigen sie sich mit dem Vorschlag des französischen Präsidenten Macron, der die Verteilung von EU-Geldern mit der Beteiligung an einer gemeinsamen Grenzsicherungspolitik der Union verknüpfen möchte.

Der Präsident der Europäischen Volkspartei, Joseph Daul, sowie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz teilten vergangene Woche mit, dass die Mitgliedschaft des Fidesz in der EVP nicht vor Abschluss des Artikel 7-Verfahrens gegen Ungarn zur Disposition gestellt werde.
Nach einem informellen EU-Gipfel in Salzburg verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron, dass solche Länder „den Schengen-Raum verlassen werden“, denen es an Solidarität gegenüber der EU mangele, weil sie eine Zentralisierung der Grenzkontrollen durch Frontex nicht unterstützen würden. Weiter sagte Macron: Diejenigen Länder, die Migranten nicht in ihr Hoheitsgebiet einreisen ließen, „entziehen sich selbst EU-Strukturfonds“. Die Erklärung von Präsident Macron war eine Reaktion auf eine frühere Ankündigung von Ministerpräsident Viktor Orbán, dass Ungarn die Kontrolle über seine Grenzen nicht aufgeben werde.

In Magyar Idők interpretiert Levente Sitkei die Worte von Präsident Macron als eine Kriegserklärung. Mit seinem Vorschlag, die Mitgliedschaft im Schengen-Raum und die Verfügbarkeit von EU-Strukturfonds an die Annahme der EU-Migrationspolitik zu knüpfen, habe der französische Präsident deutlich gemacht, dass er solche EU-Mitgliedstaaten in die Knie zwingen wolle, die die Migration zu stoppen und ihre nationale Souveränität zu verteidigen suchten. Weiter behauptet Sitkei, dass Präsident Macron seine Gegner, darunter auch Viktor Orbán, deswegen als antieuropäisch bezeichne, um alle Meinungen zu unterdrücken, die seiner Vision von der Zukunft Europas widersprechen würden. Der regierungsnahe Kommentator findet all dies absurd und konstatiert, dass es weder eine einheitliche europäische Identität noch ein einheitliches europäisches Interesse gebe. Vielmehr bestehe die EU aus verschiedenen Nationalstaaten mit unterschiedlichen Zielen und Werten. Was die umfassenderen Auswirkungen der Erklärung von Präsident Macron betrifft, so ist Sitkei der Ansicht, dass sich die Europawahl 2019 nunmehr ganz eindeutig zum Showdown zwischen den Planern einer föderalen EU und den Bewahrern von nationalen Souveränitäten innerhalb der Union entwickeln werde.

Der Chefredakteur von Magyar Demokrata, András Bencsik, ist gleichfalls der Meinung, dass die Zukunft Europas in einem Konflikt zwischen den Lagern des „globalistischen Imperialismus“ und des „patriotischen Souveränitismus“ entschieden werden müsse. Der regierungsnahe Kolumnist beschreibt die Strategie der die Immigration befürwortenden Parteien als darauf ausgerichtet, patriotische Parteien zu diskreditieren. Dies geschehe durch den Vorwurf, sie würden sich für politischen Extremismus stark machen. Diese Strategie könnte sich auszahlen, da die europäischen Wähler Parteien, die vermeintlich „einen extremistischen osteuropäischen Autoritarismus“ vertreten, viel weniger unterstützen würden. Würden sie hingegen als patriotische Parteien eingestuft, deren Ziel es sei, den demografischen Rückgang der europäischen Nationen umzukehren, wäre die Unterstützung größer, spekuliert Bencsik.

Sándor Faggyas von Magyar Hírlap hält den Vorschlag für nicht hinnehmbar, dem zufolge die EU die Grenzkontrolle übernehmen und entscheiden solle, wen die Mitgliedsstaaten in ihr eigenes Territorium einreisen ließen. Es wäre undemokratisch, würden in der EU verbindliche Migrationsvorschriften erlassen, schreibt der der Regierung nahestehende Kommentator und hält es für beruhigend, dass die EVP den Fidesz momentan nicht aus ihren Reihen ausschließen wolle. Gleichzeitig formuliert er die Hoffnung, dass die derzeitige EU-Führung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 durch in ihrer Popularität stetig zunehmende Parteien ersetzt werde, die die nationale Souveränität stärken und die Massenmigration stoppen wollten.

Obwohl die meisten Mitte-Rechts-Parteien in der Europäischen Volkspartei die Anti-Immigrationspolitik von Ministerpräsident Viktor Orbán übernommen hätten, sei dieser dennoch mittlerweile zur Persona non grata innerhalb der EVP geworden. Das behauptet Gábor Török in einem Interview mit der linken Tageszeitung Népszava. Laut der Analyse des bekannten Politologen möchte die EVP ihre Zustimmungswerte erhöhen, indem sie eine striktere Haltung in der Frage der Immigration einnimmt. Zugleich wolle sie sich von Viktor Orbán abgrenzen, um die Einheit der EVP zu wahren. Was den Fidesz betrifft, so ist Török der Ansicht, dass die ungarische Regierungspartei ihren gesamten Einfluss auf der europäischen Ebene verlieren könnte, sollte sie aus der EVP ausgeschlossen werden. Ministerpräsident Orbán könnte möglicherweise zur Schlüsselfigur in einer zukünftigen Koalition rechtsextremer Parteien innerhalb der EU avancieren. Doch könnte eine derartige Plattform Orbán kaum bei der Vertretung seiner eigenen Interessen nützlich sein. Die potenziellen Verbündeten von Ministerpräsident Orbán in einer solchen gemeinsamen Plattform rechts der EVP seien sich einig, dass die Massenmigration gestoppt werden sollte, verfügten jedoch mit Blick auf Europa über höchst unterschiedliche Vorstellungen. Folglich dürfte sich ihre Zusammenarbeit als flüchtig erweisen, betont Török. Was die Drohung von Präsident Macron betrifft, so ist Török der Meinung, dass der französische Staatschef Orbán vor allem deswegen ins Visier nimmt, um seinen wichtigsten Herausforderer, die französische Nationale Sammlungsbewegung mit ihrer Chefin Marine Le Pen, zu schwächen.

Ebenfalls in Népszava äußert sich Tamás Beck, der eine tatsächliche Aktivierung von Artikel 7 gegen Ungarn für unwahrscheinlich hält. Jedoch werde das Verfahren den Fidesz innerhalb der EU marginalisieren und langfristig zum Ausschluss der Regierungspartei aus der EVP führen. Der linksorientierte Kolumnist verweist darüber hinaus darauf, dass sich Ministerpräsident Orbán mit seiner Einschätzung verkalkulieren könnte, derzufolge einwanderungskritische Parteien bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 erhebliche Gewinne erzielen würden.

Magyar Narancs spekuliert in einem Leitartikel auf der ersten Seite des Magazins, dass der Fidesz nach der Abstimmung des Europäischen Parlaments über den Sargentini-Bericht nach neuen Verbündeten Ausschau halten werde. Die Europäische Volkspartei habe den Fidesz bereits abgeschrieben und Ministerpräsident Orbán werde daher versuchen, seine Vision von Europa durch die Zusammenarbeit mit rechtsextremen, die EVP von rechts herausfordernden Parteien voranzutreiben, vermutet das liberale Blatt. Ihr Sieg würde das Ende der Europäischen Union und nicht zuletzt für Ungarn eine Tragödie bedeuten, so Magyar Narancs abschließend.

In Heti Világgazdaság stellt Zoltán Horváth die Frage in den Raum, ob die Reaktion der Europäischen Volkspartei auf die Politik von Ministerpräsident Orbán den Zerfall der Europäischen Union wohl stoppen werde. Nach Ansicht des liberalen Kommentators hätte die EVP den Fidesz bereits 2013 – also nach Veröffentlichung des Tavares-Berichts (siehe BudaPost im Oktober 2013) – bestrafen sollen. Die Entscheidung der EVP, die Einhaltung grundlegender EU-Normen einzufordern, könnte zu spät kommen. Zur Begründung für seine Befürchtung verweist Horváth darauf, dass Parteien, die anstelle einer geeinten EU eher einen lockereren Zusammenschluss der europäischen Nationen vertreten würden, bereits an Dynamik gewonnen hätten.

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