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Wochenpresse zu den regierungskritischen Demos

24. Dec. 2018

Die beiden Gesetze, die leidenschaftliche, gegen die Regierung gerichtete Demonstrationen auslösten, wurden am Donnerstag von Präsident János Áder unterzeichnet und können somit in Kraft treten. Dadurch wurde Áder zum Ziel der letzten Protestkundgebung des Jahres. Unterdessen versuchen die Wochenzeitungen, die Demos des Monats Dezember in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Im letzten Leitartikel des Jahres fordert das Wochenmagazin Figyelő die Regierung auf, sich nicht den Demonstrationen im Inland sowie der Kritik aus dem Ausland zu beugen. Das amtierende Kabinett, so die Redakteure, habe für ein beispielloses Wirtschaftswachstum samt einer rekordverdächtigen Beschäftigungsquote gesorgt. Die Opposition dagegen, die jetzt wütende Kundgebungen veranstalte, habe das Land vor zehn Jahren in den Ruin geführt. Sie verfüge weder über ein Programm, noch über Vorschläge oder erreichbare Ziele. Da sei nichts weiter als eine erbärmliche Haltung. Figyelő bezeichnet den vom Europäischen Parlament angenommenen Sargentini-Bericht als Kriegserklärung an die Regierung und an Ungarn. Das Land müsse sich bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament gegen diese Angriffe wehren, so das Fazit des regierungsnahen Magazins.

Die Redakteure von Magyar Narancs hingegen begrüßen die Dezemberproteste als Ausdruck einer sich neu formierenden Opposition. Gewiss, die Demonstranten hätten nicht verhindern können, dass die beiden von ihnen abgelehnten Vorlagen nun doch Gesetzeskraft erlangen würden. Dennoch seien sie nicht gescheitert, so die Autoren des Leitartikels. Sie würden nur scheitern, wenn sie aufhörten, sich der Regierung zu widersetzen. Magyar Narancs bezeichnet es als besonders vielsagend, dass zwei Jobbik-Abgeordnete über den Zaun des öffentlich-rechtlichen Medienzentrums geklettert seien, um ihre im Innern des Gebäudes protestierenden linken Kollegen mit Essen zu versorgen. Ungarn verfüge jetzt über eine neue Opposition. Dabei habe eine vielversprechend junge Gruppe von Bürgern „seit einer Woche gezeigt, was zu tun ist, wenn ihre Heimat von Kriminellen in Geiselhaft genommen wird“, schreiben die Herausgeber des liberalen Wochenmagazins.

Die jüngsten Ereignisse hätten den Fidesz gezwungen, seine althergebrachte Erfolgsstrategie zu ändern, schreibt György Király in Hetek. Er sei als Oppositionspartei gegründet worden, habe sich in der Tat weiter als Oppositionspartei entwickelt und sich sogar während seiner Regierungszeit wie eine solche benommen. Zunächst habe der Fidesz seine Politik gegen den IWF, dann gegen Brüssel ausgerichtet und dadurch neue Anhänger gewonnen, nicht zuletzt mit seiner Kampagne gegen die illegale Einwanderung. Unterdessen hätten sich auch die Regierenden so verhalten, als wären sie die Opposition der Opposition, weil letztere die Kritiker des Fidesz in der Europäischen Union unterstützt habe. Die Art und Weise, wie die Demonstrationen im Dezember durchgeführt worden seien, habe Stellungnahmen provoziert, die die Demonstranten verurteilt und die Rechtmäßigkeit ihres Handelns in Frage gestellt hätten, was eine Abkehr von der traditionellen Fidesz-Strategie und eine typische Regierungsrhetorik darstelle. Király bemerkt darüber hinaus auch, dass die Polizei mit den diesjährigen Demonstrationen viel professioneller umgegangen sei als vor zwölf Jahren, als rechtsgerichtete Demonstranten gegen eine linksliberale Regierung demonstriert hätten.

In Demokrata weist Gábor Bencsik Hoffnungen der Opposition zurück, dass die Demonstrationen zum Sturz der Regierung führen könnten, wie dies 2006 schließlich der Fall gewesen sei. Er erinnert daran, dass die Rechte seinerzeit geeint und kraftvoll agiert habe, während die Linke zerbröselt sei. Darüber hinaus habe die Brutalität der Polizei die linksliberale Regierung noch unbeliebter gemacht, während die Polizei heute geduldig und gemäßigt vorgehe. Vor zwölf Jahren, so fährt Bencsik fort, habe sich das Land auf dem Weg in den wirtschaftlichen Bankrott befunden, während diesmal sämtliche makroökonomischen Indikatoren seit Jahren steigende Tendenz auswiesen. Die jetzt demonstrierende so genannte neue Opposition bestehe indes aus Leuten, die aus sehr unterschiedlichen Gründen mit der Regierung unzufrieden seien. Unter ihnen fänden sich Liberale und Nationalisten; Nostalgiker der Kádár-Ära; Antisemiten und Philosemiten; Zigeuneraktivisten und Rassisten; extrem linke und rechtsradikale Menschen. Eines Tages, so räumt Bencsik ein, werde der Fidesz abgewählt werden, aber die Person und die politische Bewegung, die ihn besiegen könnten, hätten die politische Bühne noch nicht einmal betreten.

In Heti Világgazdaság räumt András Hont ein, dass die heutige Opposition nie in der Lage sein werde, die Macht auf demokratische Weise zu erlangen, weil ihr die notwendige Kompetenz fehle. Als die Rechte 2006 die zweite Wahl in Folge verloren habe, so Hont, habe das besiegte Lager einen Anführer mit einem festen Ziel im Visier besessen, der auf eine Gruppe von Mitstreitern habe zählen können, die 16 Jahre zuvor mit dem Regimewechsel in die Politik eingestiegen seien. Die heutige Opposition könne im Gegensatz dazu kaum mit Politikern aufwarten, deren Lebensgeschichte sie zu Führern qualifizieren würde. Auch die Größe der jüngsten Demonstrationen sei unbedeutend. Die Menschenmassen, die wir im Dezember gesehen hätten, stellten nur einen Bruchteil derjenigen vom April vor den Wahlen dar. Neu sei der Radikalismus der Demonstranten, die die Legitimität des Regimes in Frage stellten. Hont kritisiert scharf linke Politiker, die zunächst auf den Zug der Demonstrationen aufgesprungen, aber angesichts der Bürgermeisterwahlen im nächsten Jahr bald wieder zur traditionellen Taktik kleiner Bündnisse zurückgekehrt seien. Hont warnt sie davor, ihr Versprechen zu brechen und die Straßendemonstrationen wieder aufzugeben.

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