Adys politische Vereinnahmung
29. Jan. 2019Am Sonntag jährte sich der Todestag von Endre Ady zum einhundertsten Mal. Aus diesem Anlass werfen sich Kolumnisten der beiden großen politischen Lager gegenseitig vor, einen der bedeutendsten Dichter und Schriftsteller Ungarns missbräuchlich für sich zu vereinnahmen.
Noch im Oktober hatte Magyar Idők den Artikel eines rechten Literaturhistorikers veröffentlicht, in dem Ady als eingefleischter Freimaurer und Radikaler dargestellt wurde. Nunmehr befassten sich am Sonntag einige Sender der von der Regierung kontrollierten öffentlich-rechtlichen Medien mit Adys dichterischem Schaffen. Und sogar Magyar Idők – ebenfalls regierungsnah – veröffentlichte anlässlich seines einhundertsten Todestages eine Würdigung des Ady’schen Erbes.
Es sei empörend, dass die Regierenden Ady feiern würden, echauffiert sich Miklós Hargitay. Aus Sicht des Népszava-Redakteurs handelte es sich bei dem Dichter um einen entschiedenen Gegner antiwestlicher Gesinnungen. Ady habe die konservativen Regierungen des frühen 20. Jahrhunderts entschieden abgelehnt und sei ein persönlicher Gegner von Ministerpräsident István Tisza gewesen, der aktuell von der rechten Regierung gefeiert werde, so Hargitay. Er zitiert dann dreißig Zeilen aus einem nationalismuskritischen Artikel Adys, um zu beweisen, dass Versuche der Regierung, das Erbe des großen Dichters für sich zu vereinnahmen, nicht zu rechtfertigen seien. Ministerpräsident Viktor Orbán und Ady könnten nicht gleichzeitig Recht haben, schreibt Hargitay und beendet seine Kolumne mit dem Aufruf: „Entweder Orbán oder Ady. Wir müssen uns entscheiden.“
In Magyar Idők beschreibt Vilmos Ircsik Adys Erbe als höchst widersprüchlich und beschuldigt Linksliberale, eine Seite dieses Erbes zur Selbstlegitimation zu missbrauchen. Einerseits habe Ady tatsächlich die meisten der sich einander ablösenden konservativen Regierungen abgelehnt, aber andererseits auch jene unterstützt, die von der Opposition am heftigsten kritisiert worden sei – denn sie habe die Einführung des allgemeinen Wahlrechts zugesagt. Der regierungsfreundliche Autor zitiert auch eine von Adys letzten politischen Stellungnahmen, kurz bevor er einem Schlaganfall erlag: Als Reaktion auf die Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten István Tisza schrieb Ady: „Es ist schrecklich! Wir sind fertig!“ Der von Ady verurteilte Nationalismus, so Ircsik weiter, sei derjenige gewesen, der andere Nationen zu Feinden erklärt habe. Ansonsten jedoch sei Ady nicht nur ein Gottsucher, sondern auch ein glühender Patriot gewesen. Weder das eine noch das andere lässt sich laut Ircsik von den globalistischen Linksliberalen Ungarns behaupten.
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