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Kreuzfeuer von Antisemitismusvorwürfen

25. Feb. 2019

Linke und liberale Kommentatoren vermuten, dass es sich bei den philosemitischen und israelfreundlichen Botschaften der Regierung lediglich um Augenwischerei handele. Ein regierungsnaher Kolumnist wiederum hält die Bereitschaft der Linken zur Zusammenarbeit mit der Jobbik-Partei für empörend. Und ein in der politischen Mitte beheimateter Publizist bezeichnet es als eine gute Nachricht, dass sich alle Mainstream-Parteien vom Antisemitismus zu distanzieren versuchen.

Auf Mérce hält István Merker der Regierung „antisemitische Tendenzen“ vor. Die Behauptung des Kabinetts, dass ihre gegen Einwanderungsbewegungen gerichtete Politik sowohl Juden als auch andere Minderheiten schützen solle, sei wohlfeil. Die Regierung habe die präventive Verteidigung der Juden in ihre diskursive Agenda aufgenommen. Damit wolle sie sich den „erkenntnistheoretischen Vorteil“ einer Definition des Antisemitismus sichern und jeden als antisemitisch abkanzeln, der sich gegen ihre „harte und unmenschliche“ Anti-Immigrantenkampagne stelle. Zudem bestreitet der alt-linke Blogger die Behauptung regierungsnaher Kreise, dass der aktuelle Antisemitismus weitgehend von linken Parteien Europas ausgehe. In Reaktion auf kritische Stimmen, wonach die Regierung in ihren gegen George Soros gerichteten Kampagnen auf antisemitische Stereotypen zurückgreife, habe sie Kritik als politisch motiviertes und voreingenommenes Dreckschleudern bezeichnet, klagt Merker.

Róbert Friss von Népszava findet es „eigenartig“, wenn die ungarische Regierung die Tolerierung des Antisemitismus abstreite. Der linksorientierte Kolumnist erinnert daran, dass Außenminister Péter Szijjártó Anfang dieser Woche in Jerusalem geäußert habe, seine Regierung verfolge mit Blick auf den Antisemitismus eine Politik der Nulltoleranz. Die Behauptung, die Regierung wolle das jüdische Volk verteidigen, indem sie die Masseneinwanderung nach Europa unterbinde und gleichzeitig den „jüdischen Milliardär“ George Soros als Feind der Ungarn darstelle, sei ekelhaft. Zudem wirft Friss den Machthabern vor, sie versuchten die von einem expliziten Antisemitismus geprägte Horthy-Ära der Zwischenkriegszeit zu beschönigen.

Fidesz und Jobbik hätten ihre Plätze auf der rechten Seite des politischen Spektrums getauscht, heißt es im Leitartikel von Magyar Narancs. Während die Redakteure des liberalen Wochenmagazins anerkennen, dass sich Jobbik in Richtung politischer Mitte bewegt und ihre rassistische Rhetorik aufgegeben habe, werfen sie dem Fidesz vor, Minderheiten anzugreifen und antisemitische Stereotypen zu verwenden. Magyar Narancs legt nahe, dass die neue Plakat-Kampagne der Regierung, die den Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Cleade Juncker als Soros-Verbündeten darstelle, einer „rassistischen und antisemitischen Hetze“ gleichkomme.

In Szombat kritisiert János Gadó den Vorsitzenden der Vereinigten ungarisch-jüdischen Kultusgemeinde (EMIH), Shlomó Köves, mit scharfen Worten, denn dieser habe die Rhetorik der Regierung aufgegriffen und Jobbik sowie linke Politiker des Antisemitismus bezichtigt. In den Augen Gadós hat Jobbik eine pragmatische Wendung vollzogen, als sie sich – wie auch die meisten rechtsradikalen Parteien in Europa – von ihrer einstmals antisemitischen Politik verabschiedete. Der Fidesz folge dem gleichen Diskurs, lehne Antisemitismus offen ab und unterstütze Israel. Allerdings wirft der Autor der jüdischen Zeitschrift der Regierung vor, sie betreibe einen Kult um den einstigen Regenten Miklós Horthy. In Anbetracht all dieser Umstände bezeichnet es Gadó als traurig, dass sich der Vorsitzende einer wichtigen jüdischen Organisation auf die Seite der Regierung stelle.

Die offenkundige Bereitschaft der linken Opposition zur Kooperation mit Jobbik sei ekelhaft, schreibt Bence Békés in Magyar Nemzet. Békés, ein Nachkomme von Holocaust-Überlebenden, wirft der Linken vor, Jobbiks rassistische und antisemitische Rhetorik in der Hoffnung auf eine erneute Machterlangung zu ignorieren. Er verurteilt die linken Parteien, die Ministerpräsident Viktor Orbán gerne Hasstiraden zur Last legten. Zur Begründung verweist Békés auf ihr „gemeinsames Marschieren an der Seite von Neonazis“, um auf diese Weise die Regierung bezwingen zu können.

Auf Azonnali bezeichnet György Pápay es als grundsätzlich gute Nachricht, dass alle Mainstream-Parteien versuchen würden, den Vorwurf des Antisemitismus von sich zu weisen. Der Kommentator der politischen Mitte ist sich unsicher, ob Jobbik tatsächlich ihre antisemitischen Überzeugungen aufgegeben habe oder nur so tue als ob, um Stimmen gemäßigter Wähler für sich zu gewinnen. Zudem wirft Pápay dem Fidesz vor, radikaler geworden zu sein und antisemitische Stereotypen in seine Rhetorik einzuarbeiten. Offenkundig würden die regierungsfreundlichen Medien die rechtsradikale Bewegung Unsere Heimat unterstützen, um Jobbik weiter zu schwächen. Dennoch begrüßt Pápay den beiderseitigen Versuch, sich ausdrücklich von antisemitischen Ansichten zu distanzieren. Langfristig könnte ein solcher öffentlicher Diskurs antisemitische Einstellungen in der ungarischen Gesellschaft aufweichen, hofft Pápay.

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