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Merkel trifft Orbán

22. Aug. 2019

Eine regierungsnahe Kommentatorin sieht in dem „konzilianten Ton“ von Bundeskanzlerin Merkel ein Zeichen für das zunehmende politische Gewicht und den wirtschaftlichen Erfolg Ungarns. Ein linker Kommentator wirft Merkel dagegen vor, im Bereich der Kernwerte kompromissbereit zu sein, damit die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ungarn und Deutschland nicht gefährdet würden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Viktor Orbán trafen am Montag aus Anlass des 30. Jahrestags des Paneuropäischen Picknicks an der ungarisch-österreichischen Grenze zusammen. Am 19. August 1989 hatten Hunderte DDR-Bürger die Gelegenheit zur Flucht über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland genutzt. Dieses Ereignis gilt als konkreter Auftakt einer Kette von Geschehnissen, die letztendlich zum Fall des Eisernen Vorhangs führten. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ungarischen Regierungschef dankte Kanzlerin Merkel Ungarn für die Übernahme einer Schlüsselrolle bei den historischen Vorgängen von 1989, die die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichten. Orbán erklärte, dass sein Land mit der Verteidigung der ungarischen Grenzen vor illegalen Einwanderern auch dem Interesse Deutschlands und Österreichs diene. Die Entscheidung Ungarns, 1989 den Eisernen Vorhang abzubauen, und seine derzeitige Grenzpolitik würden dem gleichen Ziel dienen – nämlich der Einheit, Freiheit und Sicherheit Ungarns und Europas, so Orbán. Bundeskanzlerin Merkel verwies unter anderem darauf, dass Ungarn EU-Strukturfonds einsetze, um das Leben seiner Bürger zu verbessern. Der ungarische Ministerpräsident lobte Deutschland für die Einsicht, dass sich Mitteleuropa gegenwärtig zu einem wichtigen Akteur entwickle, und wies darauf hin, dass die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen florierten. Beide Politiker forderten die Integration des Westbalkans in die EU. Zudem sollte potenziellen Migranten vor Ort in ihren Heimatländern geholfen werden.

Mariann Őry von der Tageszeitung Magyar Hírlap konnte beobachten, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel einen versöhnlichen Ton gegenüber Ungarn angeschlagen hat. Merkel, die in der Vergangenheit die Grenzsicherungspolitik der ungarischen Führung kritisiert habe, scheine jetzt die Erfolge des ungarischen Bemühens um Eindämmung der illegalen Migration sowie die wirtschaftlichen Errungenschaften des Landes anzuerkennen, schreibt die der Regierung nahestehende Kommentatorin. Őry interpretiert dies alles als Folge des wachsenden Einflusses der Visegrád-Staaten innerhalb der EU und der Bereitschaft der Kanzlerin zur Zusammenarbeit mit der ungarischen Regierung.

Ungeachtet des auf der gemeinsamen Pressekonferenz vorherrschenden versöhnlichen Tons blieben die Spannungen zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Orbán bestehen, behauptet Zsolt Kerner auf 24.hu. Während Merkel für ein Mehr an Integration einstehe, versuche die ungarische Regierung, die nationale Souveränität zu verteidigen, konstatiert der linke Kommentator. Kerner vergleicht die Behauptung Orbáns, er wolle Europa durch die Abschottung seiner Grenzen vor der illegalen Migration verteidigen, mit der Argumentation der DDR, die den Eisernen Vorhang mit der vermeintlichen Verteidigung der Sowjetunion und des Kommunismus gerechtfertigt hatte. Allerdings räumt der Autor ein, dass Bundeskanzlerin Merkel diesmal die ungarische Regierung nicht offen kritisiert habe. Der Verzicht auf eine klare Sprache seitens der Kanzlerin ist für Kerner ein weiterer Hinweis darauf, dass Deutschland bei der Verteidigung europäischer Grundwerte kompromissbereit sei, wenn deutsche Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel stünden.

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