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Amazonas: Regenwaldbrände und die staatliche Souveränität

9. Sep. 2019

Wochenzeitungen und Internetportale aller Couleur diskutieren die Regenwaldbrände im Amazonasgebiet im Zusammenhang mit Fragen nationaler Hoheitsrechte.

Győző Mátyás äußert sich zurückhaltend und vertritt die Ansicht, dass einige der im Zusammenhang mit den Regenwaldbränden im Amazonasgebiet laut gewordenen Ängste übertrieben seien. Doch auch der Redakteur des Wochenmagazins 168 Óra geht davon aus, dass die Aufmerksamkeit einer guten Sache diene. Einige der über soziale Medien verbreiteten Fotos hätten nichts mit den aktuellen Waldbränden zu tun und Angaben über die tatsächlichen Wirkungen der Amazonaswälder auf das globale Klima seien übertrieben, so der linksorientierte Kommentator. Der Hype um das Feuer habe dennoch die Aufmerksamkeit auf das „brennendste Problem“ unserer Zeit gelenkt. Mátyás bestätigt, dass zwecks Landgewinnung Wälder brandrodende brasilianische Familien auf ihren Ländereien durchaus rechtens agieren würden. Andererseits jedoch könne eine solche Souveränität möglicherweise eine weltumspannende Krise auslösen. Die Fokussierung auf die nationale Souveränität trage jedoch keineswegs dazu bei, die ökologischen und damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme Brasiliens und der Welt zu lösen. Es sei enttäuschend, dass „souveräne Populisten“ NGOs sowie sich für eine internationale Zusammenarbeit einsetzende Menschen als Söldner des globalen Kapitals und der liberalen Ordnung bezeichnen würden, notiert Mátyás abschließend.

In Magyar Demokrata erklärt István Kovács vom Zentrum für Grundrechte, einer staatlich geförderten NGO, die „globale Hysterie“ über die Amazonas-Regenwaldbrände als Erscheinungsform einer weltlichen „Ersatzreligiosität“. Der regierungsnahe Analyst geht davon aus, dass die apokalyptischen Ängste über die Regenwaldbrände den Ängsten nach den Pariser Terroranschlägen ähneln würden. Statistischen Angaben zufolge gäbe es in den Amazonaswäldern in diesem Jahr keine umfangreicheren Feuer als in einem durchschnittlichen Jahr im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte. Kovács beschuldigt die Linke, sie würde das Problem der Feuer aufblasen, um die nationale Souveränität einschränken zu können. Es sei der Linken nämlich nicht gelungen, die nationale Souveränität dadurch zu schwächen, indem sie Nationalstaaten Migrationsströme aufzwinge. Dieses Versagen habe sie erkannt und versuche nun, klimabedingte Ängste für den gleichen Zweck zu missbrauchen, behauptet Kovács. Eine solche Panikmache erschwere das erfolgreiche Herangehen an die wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit noch zusätzlich, ergänzt Kovács.

Auch Zoltán Vasali vom IDEA-Institut zieht eine Parallele zwischen dem Streit um die Waldbrände im Amazonasgebiet und den Konflikten um die nationale Souveränität. In Élet és Irodalom vergleicht der linksliberale Analyst den aktuellen Streit um den brasilianischen Regenwald mit der Migrationskrise. Dabei wirft Vasali den Befürwortern des Konzepts der staatlichen Souveränität Verantwortungslosigkeit vor. Entsprechend eingestellte Politiker würden die Souveränität verteidigen, auch wenn sie zu globalen Krisen führen oder den nationalen Interessen schaden würde. Als Beispiele nennt Vasali die Ablehnung der internationalen Hilfe zur Brandbekämpfung durch den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro sowie die Weigerung von Ministerpräsident Viktor Orbán, norwegische Finanzhilfen zur Unterstützung von NGOs zu akzeptieren. Die ungarische Rechte habe mittlerweile erkannt, dass sie die globale Erwärmung nicht einfach leugnen und ökologische Sorgen herunterspielen könne, konstatiert Vasali in einer Randnotiz. Die ungarische Regierung tue daher ihr Bestes, um auf den grünen Zug zu springen, und versuche, grüne Konzepte als Teil christlich-konservativer nationalistischer Werte umzuetikettieren und die Erhaltung der nationalen Umwelt zu fördern.

Auf Mérce warnt Zsolt Kapelner die Linke davor, die nationale Souveränität zu propagieren. Der alt-linke Blogger erinnert daran, dass die Idee der Souveränität sowohl bei der „autoritären Rechten“ als auch bei der „populistischen Linken“ Einzug gehalten habe. Die nationale Souveränität sei ein vormodernes Ideal, das in einer globalisierten Welt nicht umgesetzt werden könne. Kapelner stimmt mit linken Globalisierungsgegnern überein, denen zufolge „die Völker von Fremdherrschaft befreit werden sollten“, vertritt aber auch die Auffassung, dass dies mit Hilfe der nationalen Souveränität nicht zu erreichen sei. Vielmehr führt dies laut Kapelner zu einem Nullsummenspiel zwischen nationalen Entitäten, was es den nationalen Regierungen gestatte, die Menschen nach ihren eigenen Interessen und ihrem eigenen Gusto zu definieren. Kapelner ist daher der Ansicht, dass die Linke nicht die autoritäre nationale Souveränität befürworten, sondern stattdessen basisdemokratische Bewegungen fördern sollte, die die freie und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Einzelnen stärken und ihn in seinem Kampf gegen das globale Kapital unterstützen würden.

Gergely Szilvay antwortet auf Mandiner direkt auf Kapelner: Es sei absurd zu behaupten, dass es sich beim Volk um ein bloßes Konstrukt handele. Der konservative Kommentator behauptet, dass politische Gemeinschaften der Macht vorausgingen. Folglich sei die Annahme falsch, dass Macht das Volk erschaffe. Würde Kapelner auch d’accord gehen, dass migrationsfreundliche Argumente ebenfalls nur ein bloßes Abbild politischer Macht und Interessen seien?, fragt Szilvay. Kapelners konstruktivistisches Argument ziele darauf ab, politische Projekte zu verteidigen, die dem Willen des Volkes zuwiderliefen. Als Beispiel nennt Szilvay die Bemühungen um eine erleichterte Migration, obwohl die Einheimischen gar nicht zur Aufnahme von Migranten bereit seien. Inwiefern könnten internationale Organisationen demokratischer und repräsentativer für den Volkswillen sein als nationale Regierungen? Abschließend stellt Szilvay fest, dass die Linke – falls sie das basisdemokratische Prinzip ernst nehmen sollte – eher die lokale Subsidiarität und kleine Gemeinschaften vor Ort als die marxistische internationale Zusammenarbeit befürworten würde. Letztere sei nicht demokratischer als die Wiederherstellung der Autorität einer überstaatlichen religiösen Autorität. Anstatt dem Rat internationaler Organisationen zu folgen, sollten wir uns mehr mit den Argumenten brasilianischer Experten befassen, die mit dem Fall vertraut seien, empfiehlt Szilvay.

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