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Weitere Analysen zum Durchbruch der Opposition

4. Nov. 2019

Nach alles in allem zehn Kommunal- und Parlamentswahlen – teilweise erdrutschartig von der Opposition verloren – konnten die Regierungsgegner am 13. Oktober in elf der 23 größeren Städte Ungarns Bürgermeisterposten für sich gewinnen. Das Ergebnis des Urnengangs gibt den Kommentatoren noch immer Grund zum Nachdenken.

Gábor Bencsik führt den vom Fidesz in Budapest und anderen größeren Städten erlittenen Rückschlag auf sein Unvermögen zurück, die eigenen Erfolge zu kommunizieren. Die Opposition, so der Chefredakteur des Wochenmagazins Demokrata, habe die Regierungsseite erfolgreich als Feind von Grünflächen dargestellt, der Bäume durch Betonklötze ersetze. In Wirklichkeit seien unter der Ägide von Bürgermeister István Tarlós – besiegt vom linksliberalen und mit grünem Programm antretenden Gergely Karácsony – beispiellose 10.000 Bäume gepflanzt worden. Als ein weiteres verlorenes Thema für die Regierung habe sich der Zustand der hauptstädtischen Krankenhäuser entpuppt. Im ganzen Land, so Bencsik, seien regionale Krankenhäuser saniert worden – vor allem mit Hilfe von EU-Kohäsionsfonds. Budapest liege im Hinblick auf das Pro-Kopf-Einkommen im Bereich des EU-Durchschnitts und habe daher keine EU-Gelder für diesen Zweck zugesprochen bekommen. Damit hinke der Um- und Ausbau der Budapester Krankenhäuser fünf Jahre hinter dem Zeitplan hinterher. Der Fidesz hätte das nach Ansicht Bencsiks erklären können. Als drittes Thema führt der Publizist den Grad der Verarmung in Ungarn an. Der Regierung werde vorgeworfen, sich nur um die obere Mittelschicht zu kümmern. In dieser Hinsicht sei ihr kein Dementi gelungen, obwohl die Quote der in Armut lebenden Menschen seit 2010 von 31,5 auf 19,6 Prozent gesunken sei – ein Wert knapp unter dem EU-Durchschnitt, notiert Bencsik.

In Magyar Nemzet warnt Izabella Bencze den neuen Bürgermeister von Budapest davor, geplante oder bereits laufenden Großprojekte abzusagen. Die im Bereich des Stadtwäldchens vorgesehenen Museumsgebäude seien vom Parlament genehmigt worden und könnten daher ungeachtet anderslautender Wahlkampfversprechungen Karácsonys vom Stadtrat der Hauptstadt nicht abgeblasen werden. Das Leichtathletikstadion, in dem die Weltmeisterschaft 2023 ausgetragen werden soll, sowie die Handballhalle als wichtigster Austragungsort der Europameisterschaft 2022 unterlägen internationalen Vereinbarungen. Sollte sich Ungarn von ihnen verabschieden, würden erhebliche Entschädigungszahlungen fällig, erinnert die Kommentatorin. Der Wahlkampf gehöre der Vergangenheit an. Budapest habe 2010 Rang sieben der von Euromonitor International geführten Liste der meistbesuchten Städte Europas belegt – im vergangenen Jahr sei sie die Nummer eins gewesen. Bencze fordert Karácsony auf, er möge alles tun, um diese Platzierung zu verteidigen.

In Magyar Narancs bezeichnet László Haskó die von MSZP-Spitzenpolitikern zum Ausdruck gebrachte Zufriedenheit über den Ausgang der Kommunalwahlen als völlig unbegründet. Im Gegenteil: Die Sozialistische Partei stehe kurz davor, vollkommen von der politischen Bühne zu verschwinden. Der Durchbruch der Oppositionskandidaten in mehreren Städten sei eher auf politisch ungebundene Bürger als auf politische Parteien zurückzuführen – dabei vor allem nicht auf die MSZP. Die Sozialisten, so fährt Haskó fort, hätten für die Parlamentswahlen keinen annehmbaren Spitzenkandidaten finden können und sich deshalb mit Gergely Karácsony zusammengetan, der, wie ein an die Öffentlichkeit durchgesickertes Gespräch zeige, ihre Leistung wie ihre moralischen Standards gleichermaßen als finster bezeichne. Kein reiner Zufall, dass der wiedergewählte Bürgermeister von Szeged gerade die MSZP nach 25 Jahren erfolgreichen Wirkens vor Ort verlassen habe. Der liberale Autor führt das Scheitern der MSZP auf ihre „opportunistische und feige Politik in der Opposition“ zurück.

Der marxistische Philosoph Gáspár Miklós Tamás findet den Stil des Wahlkampfes in Ungarn abscheulich. Auf hvg.hu protestiert er vor allem gegen die illegale Nutzung von abgehörten und mitgeschnittenen Szenen aus dem Privatleben von Politikern. Dabei rechtfertigt er durchaus nicht die Sexszenen, in denen der Bürgermeister von Győr eine Rolle gespielt hatte und die während des Wahlkampfes eine weite Verbreitung durch das Internet erlebten. Dennoch glaubt Tamás, dass anständige Medien illegal erworbenes Material nicht veröffentlichen sollten, egal wie nützlich es auch für politische oder Zwecke der Auflage bzw. Einschaltquote sein könnte. Gleiches beträfe das illegal mitgeschnittene Gespräch, in dem ein örtlicher sozialistischer Stadtbezirksrat mit dem Geld prahle, das er und andere – einschließlich des (inzwischen wiedergewählten) Bezirksbürgermeisters – mit Hilfe von Bestechungsgeldern verdient hätten. Tamás weist auch darauf hin, dass in anderen demokratischen Ländern derartige Personen für immer aus der Politik verschwinden würden, während dies in Ungarn nicht der Fall zu sein scheine. Einige wenige von ihnen würden geopfert, aber der Rest bliebe ungeschoren. In einer Abschlussbemerkung kritisiert Tamás die in der Politik häufig verwendete ungehobelte Sprache. Vulgäre, in privaten Gesprächen durchaus akzeptable Äußerungen seien in die öffentliche Sphäre eingedrungen, was für das öffentliche Leben in Ungarn äußerst erniedrigend sei, beklagt Tamás abschließend.

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