Wochenpresse zum neuen nationalen Lehrplan
10. Feb. 2020Die Debatte über den neuen nationalen Lehrplan setzt sich auch in den Wochenmagazinen fort. Linke und liberale Kommentatoren verurteilen die Regierung und werfen ihr vor, Kinder einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Regierungsnahe und konservative Stimmen hingegen bezeichnen Kritiker als ideologisch voreingenommen.
Der neue Literaturlehrplan (siehe BudaPost vom 6. Februar) werde Kinder traktieren und vom Lesen abhalten, notiert Árpád W. Tóta in Heti Világgazdaság. Der für seine flammenden Meinungsäußerungen bekannte Liberale hält es für widersinnig, zahllose ungarische Klassiker des 19. Jahrhunderts in den Lehrplan aufzunehmen. Vielmehr sollten in Schulen interessantere Bücher gelesen werden, etwa aus den Bereichen Science-Fiction und zeitgenössische Literatur, darunter auch Harry-Potter, empfiehlt Tóta. Er fordert die Opposition auf, einen kompletten Alternativlehrplan auszuarbeiten und diesen zu nutzen, um gegen die Regierung Stimmung zu machen.
Dóra Ónody-Molnár von 168 Óra argwöhnt, dass die Regierung mit der Einführung eines neuen Lehrplans ein einfaches Ziel vor Augen habe: aus Kindern „unterwürfige Subjekte“ zu machen. Die Regierung verstoße gegen das Gesetz, da sie den neuen Lehrplan ohne angemessene Konsultation von Lehrern, Bildungsexperten und Elternverbänden einführe. Ónody-Molnár pflichtet Experten bei, die den Lehrplan aus verschiedenen Gründen kritisieren würden – so beispielsweise, weil er keine zeitgemäßen pädagogischen Methoden vorsehe, die nationalistische Ideologie in den Mittelpunkt stelle und den Schülern viel zu viel abverlange.
Im Leitartikel auf der ersten Seite von Magyar Narancs unterstellen die Redakteure des liberalen Wochenmagazins, dass der vorgeschlagene geisteswissenschaftliche Lehrplan in einem rechtsextremistisch-nationalistischen Geist erarbeitet worden sei. Der neue Literatur-Kanon sowie das in der Pflichtlektüre implizierte Geschichtsnarrativ deuteten eine Rückbesinnung auf die autoritäre nationalistische Ideologie der Zwischenkriegszeit an. Der Zweck des neuen Lehrplans spiegele „Frustration und Minderwertigkeitskomplexe“ wider, schreibt Magyar Narancs und behauptet, dass die Regierung lediglich die Absicht habe, die nationalistische Indoktrination junger Ungarn zu befördern.
Zsolt Bayer von Magyar Nemzet hält es für absurd, dass einige Lehrer gegen die Einbeziehung von Schriftstellern mit Sympathien für den Faschismus sowie antisemitischen Empfindungen protestieren würden. Bayer räumt ein, dass die neu in den Lehrplan aufgenommenen József Nyirő und Albert Wass üble politische Ansichten vertreten hätten. Aber zahlreiche Schriftsteller, die Teil dessen sind, was Bayer als den „liberalen Kanon“ in Europa und Ungarn bezeichnet, flirteten ebenso mit der nationalsozialistischen Ideologie. Folglich sollten diejenigen, die die Werke von Albert Wass und József Nyirő nicht unterrichten wollten, auch Autoren mit ähnlichen Sympathien nicht behandeln – neben weltberühmten pro-nazistisch eingestellten Schriftstellern wie Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann, Knut Hamsun, Louis-Férdinand Céline und Ezra Pound.
Milán Constantinovits hält die ganze Debatte um den neuen nationalen Schullehrplan für deplatziert. In den Augen des konservativen Mandiner-Kommentators ist es unproblematisch, dass sich der Lehrplan auf die Ungarn konzentrieren und er patriotische Botschaften vermitteln würde. Auch widerspricht Constantinovits der Anregung, wichtige Autoren mit antisemitischen Ideen aus dem Lehrplan zu streichen. All dies seien in erster Linie Nebensächlichkeiten, glaubt Constantinovits. Seiner Meinung nach wäre es zur Verbesserung der Bildungsqualität viel wichtiger, die Lehrmethodik zu überarbeiten und den Lehrern höhere Löhne zu zahlen, als heftige und aussichtslose Debatten über jeden einzelnen im Lehrplan enthaltenen Schriftsteller anzufachen.
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